Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
Sentimentalität, die dich zwang, einem Jungen in Not zu helfen, die Art von Sentimentalität, die denselben Jungen dazu veranlasste, zu eurer Rettung herbeizueilen, als du und Ed in Not waren, dachte Alva.
Sie sagte: »In der Politik heißt es, Loyalität ist eine Einbahnstraße. Dann haben Sie jetzt also keinerlei Kontakt mehr zur Kapelle?«
»Das letzte Mal hab ich von denen gehört, als Ed Wolfs Anwalt wurde. Das Telefon ging. JC war dran. Zuerst dachte ich, er wollte uns davor warnen, Wolf zu vertreten. Stattdessen klang er ehrlich bestürzt, als ich ihm erzählte, wie schlecht die Dinge standen, wegen der vielen Beweise und Wolfs psychischem Zustand. Ich hab ihm klipp und klar gesagt, dass ich von Wolfs Unschuld absolut überzeugt war, und er sagte: ›Das bin ich auch, Doll. Das bin ich auch. Aber in dieser bösen Welt reicht Unschuld manchmal einfach nicht aus.‹ Und das war’s.«
»Also kein Hilfsangebot?«
»Nichts! Aber nachdem ich mit ihm geredet hatte, war ich mir immerhin sicher, dass Wolf nicht von der Kapelle reingelegt worden war. Jedenfalls nicht direkt. Inzwischen weiß ich, dass sie dann später die Finger mit im Spiel hatten.«
Alva behielt das im Hinterkopf, um dem irgendwann nachzugehen, doch zunächst wollte sie sich ein klares Bild von der Ausgangssituation machen.
»Wieso hielten Sie es für möglich, dass die Kapelle hinter der ganzen Sache steckte?«
Doll zuckte die Achseln und sagte: »Wolf ist einer, der gern seine eigenen Entscheidungen trifft. So wie damals mit Ed. Falls er irgendwas gemacht hätte, was die so richtig auf die Palme gebracht hätte, dann wäre die Kapelle durchaus bereit und in der Lage gewesen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Nur hätten sie sich wahrscheinlich weniger Umstände gemacht. Autounfälle – Autounfälle waren ihre Spezialität. Also hat er vielleicht noch Glück gehabt.«
»Glück? Sie nennen das Glück, wenn einer unschuldig in den Knast wandert?«
Doll schien das als Vorwurf aufzufassen.
»Wir haben alles für ihn getan, was wir konnten«, sagte sie zornig. »Aber Wolf hat sich damals für nichts mehr interessiert, das war das Problem. Imo ließ sich von ihm scheiden und heiratete Estover, seine Freunde wandten sich von ihm ab, der Unfall hatte ihn zum Krüppel gemacht. Es war einfach zu viel. Und es hörte nicht auf, als er im Gefängnis war. Erst starb sein alter Dad, dann seine Tochter. Es war, als wäre Wolf selbst gestorben.«
»Ich glaube, Ginnys Tod war der Auslöser, der ihn ins Leben zurückgeholt hat«, sagte Alva.
»Tatsache? Tja, das ist wohl eher Ihr Gebiet. Ed hat getan, was er konnte, und hat auch weiter versucht, rauszufinden, was hinter dem Ganzen steckte, noch lange nachdem Wolf aufgegeben hatte. Aber wir sind keine Detektive, und es ist schwer, jemandem zu helfen, der keine Hilfe will. Wir dachten, er würde einfach im Gefängnis verkümmern, bis er die volle Strafe abgesessen hatte. Deshalb waren wir heilfroh, als er sich meldete und Ed bat, ihm bei der Bewährungsanhörung beizustehen.«
»Haben Sie sich denn nicht gewundert?«, fragte Alva. »Ed muss Ihnen doch erzählt haben, dass die Anhörung überhaupt nur deshalb stattfinden konnte, weil Wolf seine Schuld voll und ganz gestanden und sich bereit erklärt hatte, sich einer Therapie zu unterziehen.«
Doll lachte und fragte: »Wie hätte er denn sonst rauskommen sollen, Liebes?«
Dann hörte sie auf zu lachen und sah Alva mitleidig an.
»Es tut mir leid. Es muss ein echter Schock für Sie gewesen sein, rauszufinden, wie er Sie getäuscht hat. Aber was hätte er denn anderes tun können? Ihr Gutachten, dass er für niemanden mehr eine Gefahr darstellte, war seine einzige Chance, wieder auf freien Fuß zu kommen. Er musste Sie benutzen. Das verstehen Sie doch.«
Alva nickte nur, weil sie ihrer Stimme nicht traute. Getäuscht zu werden war Berufsrisiko; jede Therapiesitzung mit einem Patienten war gewissermaßen ein Manipulationswettkampf; aber sich persönlich hintergangen zu fühlen, das war irrational, als wäre ihre Beziehung irgendwie nicht nur rein therapeutisch gewesen.
Doll streckte den Arm aus und tätschelte ihr die Schulter.
»Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen, Liebes«, sagte sie. »Er hätte seine eigene Mutter ausgetrickst, wenn das nötig gewesen wäre, um rauszukommen.«
Alva hatte sich wieder unter Kontrolle.
Sie wich zurück und sagte: »Was mich beunruhigt, ist, dass er meinte, rauszukommen sei es wert, vor aller Welt zuzugeben, dass er
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