Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
habe, läuft die Kamera aus offensichtlichen Sicherheitsgründen, aber der Ton ist abgeschaltet. Das habe ich zur Bedingung gemacht.«
    Die Frage hatte Hoffnungen in ihr geweckt, die in den folgenden Wochen regelmäßig enttäuscht wurden. Er redete zwar zunehmend mehr, aber er sagte nie etwas, das einer Beichte auch nur ansatzweise nahe kam. Sprach sie ihn auf seine Tochter an, quittierte er das mit der gewohnten Ausdruckslosigkeit. Sie fragte, warum er keinen Antrag gestellt hatte, zu ihrer Beerdigung gehen zu dürfen. Er sagte, dort hätte er nicht seine Tochter gesehen, sondern Leute, die er nicht sehen wollte. »Was für Leute?«, fragte sie. »Die Leute, die mich hier reingebracht haben«, sagte er, aber ohne seine Unschuld besonders leidenschaftlich zu beteuern. Wieder drängte sich ihr das Bild von dem Berg auf. Kletterer sprechen davon, einen Berg zu erobern. Sie tun es nicht. Manchmal verändert der Berg sie, aber sie verändern niemals den Berg.
    Aber sie gab nicht auf, und als sie sich ein paar Monate später zu einer Sitzung trafen, spürte sie, sobald er den Raum betrat, dass irgendetwas an ihm anders war. Kaum hatte sich die Tür hinter Officer Lindale geschlossen, erhielt Alva einen sichtbaren Anhaltspunkt dafür, dass ihr Gefühl sie nicht trog.
    Wenn er sich hinsetzte, legte er die Hände normalerweise mit den Handflächen nach oben auf den Tisch, die rechte schwarz behandschuht, die linke nackt, die Lebens- und Schicksalslinien tief eingegraben, als wollte er sich aus der Hand lesen lassen.
    An diesem Tag waren seine Hände nicht zu sehen, als hätte er sie auf die Knie gelegt.
    Sie sagte: »Guten Morgen, Mr Hadda. Wie fühlen Sie sich?«
    Er sagte in seinem üblichen ruhigen, gleichmäßigen Ton: »Jetzt hör mir mal zu, du schwarze Schlampe, hör mir gut zu. Ich hab eine Klinge in der Hand. Wenn du irgendwie versuchst, Alarm zu schlagen, stech ich dir ein Auge aus, ehe die auch nur die Tür aufmachen können.«
    Der Schock gab ihr Mut. Sie war nur einmal angegriffen worden, kurz nachdem sie ihre Stelle angetreten hatte. Ein Patient (sie weigerte sich, sie als Häftlinge zu bezeichnen), ein freundlicher kleiner Mann mittleren Alters, der noch nie irgendeine der Anzüglichkeiten von sich gegeben hatte, mit denen einige der Männer versuchten, eine sexuelle Beziehung mit ihr anzudeuten, war plötzlich über den Tisch gehechtet und hatte versucht, sie anzufassen, irgendwo anzufassen. Es war ihm lediglich gelungen, ihr linkes Handgelenk zu streifen, ehe die Tür aufflog und ein Wärter ihm einen Elektroschock verpasste.
    Seitdem hatte es keine Probleme mehr gegeben. Nur Alva wusste, wie verstört sie gewesen war. Als das Parlament vor einem Jahr, nach dem großen Gefängnisaufstand 2014 in Pentonville, ein Gesetz verabschiedete, das es Gefängniswärtern erlaubte, Elektroschockpistolen zu tragen, hatte sie zu denjenigen gehört, die sich heftig dagegen ausgesprochen hatten. Jetzt gab ihr die Gewissheit, dass sie nur ihren Stuhl zurückschieben und schreien musste, und schon würde die Taser-Pistole Hadda 50 000 Volt in den Rücken pumpen, ehe die Klinge auch nur in die Nähe ihres Gesichts käme, die Kraft, ruhig zu antworten: »Was genau wollen Sie, Mr Hadda?«
    Er sagte: »Ich will dich ficken, bis du die Besinnung verlierst, aber dafür haben wir keine Zeit. Also muss ich mich wohl damit begnügen, dass du deinen linken Schuh abstreifst, dein Bein unter dem Tisch ausstreckst, mit deinem nackten Fuß meinen Schritt berührst und so lange reibst, bis ich komme.«
    Der Teil ihres Gehirns, der nicht mehr unter Schock stand, dachte: Du armes jämmerliches Schwein! Du bist hier mit all den anderen Perversos eingesperrt. Ist denn gar keiner dabei, der’s dir besorgen würde?
    Sie überlegte noch immer, wie sie die Situation entschärfen könnte, ohne herausfinden zu müssen, wie viel Volt erforderlich waren, um einen Berg wie Hadda zu überwältigen, als Hadda lächelte – zum ersten Mal –, seine leeren Hände mit den Handflächen nach oben auf den Tisch legte und sagte: »Ich denke, wenn sie nicht taub sind, wären sie längst hier, meinen Sie nicht auch?«
    Sie brauchte eine Sekunde, bis sie begriff. Er hatte ihre Behauptung auf die Probe gestellt, dass die Officer an den Überwachungsbildschirmen nicht mithören konnten. Ihr Verstand analysierte bereits, was das zu bedeuten hatte, so dass sie erst merkte, wie heftig sie am ganzen Körper zitterte, als die Tür aufglitt und Officer Lindale fragte:

Weitere Kostenlose Bücher