Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
absteigen, aber das ließ ich nicht zu.
Ich glaube, auf dem langen Rückweg haben wir höchstens eine Handvoll Worte gewechselt. Es gab sehr viel, was ich sagen wollte, aber wie schon gesagt, Kommunikation war nicht mein Ding.
Als wir noch gut eine Viertelmeile vor uns hatten, blieb sie stehen und legte mir eine Hand auf die Brust.
»Ab hier geh ich allein«, sagte sie.
Ich sagte: »Klar. Wann … wie …?«
»Keine Sorge«, sagte sie. »Ich komm zu dir, wenn ich dich will.«
Und weg war sie.
Das wär’s also, Elfe. Sex, Übergang vom Knaben zum Mann und so weiter, Kindheitstrauma, der ganze heiße Kram, in den Leute wie Sie gern ihre neugierigen Fingerchen stecken.
Passen Sie auf, dass Sie dabei nicht irgendwas Ekliges berühren!
Aber genau das macht Sie ja gerade an, hab ich recht?
Genau das macht Sie an!
Elfe
1
Als Alva Ozigbo dreizehn Jahre alt war, sollte sie einmal einen Schulaufsatz darüber schreiben, welchen Beruf sie wählen würde, wenn sie groß war.
An dem Abend saß Alva so lange über den Hausaufgaben, dass ihre Eltern sie fragten, ob sie ihr irgendwie helfen könnten.
Sie sah sie lange und prüfend an, ehe sie den Kopf schüttelte.
Ihr Vater Ike, dick, schwarz und lebensprühend, war Kardiologe am Greater Manchester Teaching Hospital. Ihre Mutter Elvira, schlank, blond und verschlossen, war Schauspielerin gewesen. Sie hatte ihre schwedische Heimat als Jugendliche verlassen, um in London zu studieren, weil die englischsprachige Welt weit größere Möglichkeiten versprach. Eine Zeit lang hatte ihr skandinavisches Aussehen ihr die eine oder andere Filmrolle verschafft, aber schon bald sah sie ihre Zukunft beim Theater. Nur einmal zeichnete sich die Chance auf eine echte Filmkarriere ab, als sie zu Probeaufnahmen für einen Bergman-Film eingeladen wurde. Noch immer sprach sie von einer verpassten Gelegenheit, wenn die Rede darauf kam, aber die Wahrheit war, dass die Kamera sie nicht liebte. Auf der Leinwand wirkte sie fast durchscheinend, und mit Mitte zwanzig hatte sie sich mit einer Karriere abgefunden, die sich auf Nebenrollen am Theater beschränkte. Sie gab gerade die Dina in Stützen der Gesellschaft am Royal Exchange, als sie Ike Ozigbo kennenlernte. Sechs Monate später heirateten sie, und als sie nach der Trauung Arm in Arm durch die Kirche zum Ausgang schritten, machte sie, was für sie ungewöhnlich war, einen Witz:
»Ich hab doch gewusst, dass ich irgendwann mal eine Hauptrolle ergattere.«
Woraufhin er die romantische Antwort gab: »Und das Stück wird länger laufen als alle anderen!«
Er sollte recht behalten.
Die dreizehnjährige Alva war stolz auf ihren Vater, aber sie hatte stets ihre Mutter bedrängt, ihr Geschichten aus dem Leben am Theater zu erzählen. Jetzt, nachdem sie eine gute Stunde zwischen den beiden wichtigsten Vorbildern in ihrem Leben hin und her geschwankt hatte, schrieb sie schließlich nicht ohne das leise Gefühl, illoyal zu sein, dass sie einmal Schauspielerin werden wolle.
Damals meinte sie das ernst. Aber irgendwann im Verlauf der folgenden Jahre verlagerte sich der Drang, in die Haut einer erfundenen Figur zu schlüpfen, von Interpretation zu Analyse. Sie fand heraus, dass der Wunsch, zu verstehen, etwas anderes war als der Wunsch, zu sein. Eine Schauspielerin muss in ihrer Rolle aufgehen; Alva erkannte, dass sie sich selbst bewahren und distanzierte Beobachterin bleiben wollte, wenn die komplizierten Schaltkreise von Persönlichkeit und Motivation offengelegt wurden.
Die Psychiatrie bot ihr diese Möglichkeit, doch schon bald stellte sie fest, dass auch der Beobachter Schauspieler sein muss. Als sie Haddas Schilderung seiner ersten Begegnungen mit Imogen las, spürte sie, wie eine Welle von Aufregung sie erfasste. Sicherlich war da allerhand Übertreibung im Spiel. Je klarer er sich selbst als Opfer einer großen Leidenschaft für eine Frau darstellte, desto verschwommener wurde sein Sinn für jene andere unwürdige und widerliche Leidenschaft. Doch in dem Bemühen, deutlich zu machen, dass seine Liebe zu Imogen auf einer Art Kollision von Geist und Seele beruhte und nicht etwa auf der Lust eines Heranwachsenden, war er in seine eigene Falle getappt.
Wie hatte er sich ausgedrückt? Da war es … wie zart sie war! Sie war so dünn, dass ich ihre Rippen zählen konnte, ihre Brüste sahen aus, als würden sie gerade erst anfangen, sich zu formen, sie wirkte eher wie zehn als wie vierzehn … Dennoch hatte ihn diese vorpubertäre Gestalt sexuell
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