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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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in dem leicht höhnischen Tonfall, mit dem er immer ihren Titel aussprach.
    Homewood runzelte die Stirn und fragte barsch: »Wie geht es Hadda?«
    »Hadda geht’s gut«, sagte Martens. »Wahrscheinlich wäre es ihm auch noch gut gegangen, wenn er nicht vor dem Frühstück gefunden worden wäre. Im Gegensatz zu dem, was man schon mal in der Sensationspresse liest, ist der Schnitt ins Handgelenk eine ziemlich ineffektive Methode, sich umzubringen. Die meisten Menschen, so auch Hadda, setzen den Schnitt quer zum Handgelenk, und nur wenige schneiden so tief, dass sie die Arterie treffen. Wenn Sie normales Blut haben, kann der Körper eine durchtrennte Vene ziemlich erfolgreich wieder verschließen. Wenn der Schnitt dagegen in Längsrichtung gesetzt wird statt quer, sind die Erfolgsaussichten wesentlich besser …«
    »Aber er kommt durch?«, unterbrach Homewood ihn ungeduldig.
    »Oh ja«, sagte der Arzt. »Dennoch, der Entschluss ist wohl das Entscheidende.«
    »Ist er ansprechbar?«, fragte Alva.
    »Ja. Er hat sich ziemlich aufgeregt, als ich ihn sedieren wollte. Er hat Ihren Namen mehrfach genannt, Dr. Ozigbo. Nicht immer in besonders schmeichelhafter Weise.«
    Er sagte das mit einer gewissen Genugtuung. Offensichtlich lag seiner Ansicht nach ein klares Versagen vor, wenn ein Patient in psychiatrischer Behandlung versuchte, sich das Leben zu nehmen.
    Und meiner Ansicht nach …?, fragte Alva sich.
    Sie ging weiter Richtung Station. Homewood wollte ihr folgen, aber sie legte ihm eine Hand auf die Brust.
    »Ich gehe allein«, sagte sie.
    Hadda beobachtete sie, als sie an sein Bett trat. Er sah blass aus, soweit man das dem von Narben durchzogenen Gesicht überhaupt ansehen konnte. Sein rechtes Handgelenk war dick bandagiert, aber ihr Blick wanderte automatisch zu seiner unbehandschuhten Hand. Es war das erste Mal, dass sie sie unverhüllt sah. Jetzt verstand sie, warum er sonst immer den schützenden schwarzen Handschuh trug. Das Fehlen von zwei Fingern war entstellender als die Narben im Gesicht, sogar entstellender als die Wunde, die durch die Augenklappe angedeutet wurde.
    Er sagte: »Treibt die Schadenfreude Sie her?«
    »Wie bitte?«
    »Stellen Sie sich nicht blöd«, sagte er. »Jeder hat das Recht auf ein ›Hab-ich’s-doch-gesagt‹, sogar Psychiater.«
    »Sie müssen schon genauer werden, Wolf«, sagte sie. »Was hab ich denn Ihrer Meinung nach gesagt?«
    Sein Blick glitt von ihr ab, und seine Miene wurde starr, als widersetzten sich die Gesichtsmuskeln dem Befehl des Gehirns. Dann zwang er sein Auge mit sichtlicher Anstrengung, sich wieder auf ihr Gesicht zu richten.
    Er sagte, zuerst leise, doch dann mit wachsender Kraft: »Alles, was die in dem Prozess über mich gesagt haben, ich meine den Pädophilenprozess, war die Wahrheit. Und noch viel mehr. Ich weiß, was für schreckliche Dinge ich getan habe. Ich weiß, was für ein schrecklicher Mensch ich war, was für ein schrecklicher Mensch ich immer noch bin. Ich erzähl Ihnen alles, haarklein, wenn Sie das wollen. Ich weiß es, ich gebe es zu, ich erkenne es an.«
    Jetzt sah sie, dass sein Auge sich mit den Tränen füllte, auf die sie gehofft hatte, seit sie mit der Arbeit an dem Fall begonnen hatte, aber der Anblick erfüllte sie mit Mitleid statt mit Freude.
    Sie wusste nicht, ob ihr Mitleid oder sein Schmerz für Hadda unerträglich wurde, jedenfalls brach er den Blickkontakt zu ihr ab, drehte den Kopf zur Seite und presste das Gesicht ins Kissen. Aber er sprach weiter, und sie senkte den Kopf, um zu verstehen, was er sagte.
    Leise, gedämpft, halb geschluchzt, halb gesprochen, hörte sie die Worte:
    »Hilf mir … hilf mir … hilf mir …«

BUCH ZWEI
    Die schönen Bäume
    Ich habe die friedlichste Gesinnung. Meine Wünsche sind: eine bescheidene Hütte, ein Strohdach, aber ein gutes Bett, gutes Essen, Milch und Butter, sehr frisch, vor dem Fenster Blumen, vor der Tür einige schöne Bäume, und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, lässt er mich die Freude erleben, dass an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden.
    Mit gerührtem Herzen werde ich ihnen vor ihrem Tode alle Unbill verzeihen – die sie mir im Leben zugefügt – ja, man muss seinen Feinden verzeihen, aber nicht früher, als bis sie gehenkt werden!
    Heinrich Heine: Gedanken und Einfälle

1
    Die tiefen Furchen in der langen Zufahrt zur Birkstane Farm waren hart gefroren.
    Selbst bei niedrigem Tempo bewegte sich der alte Nissan Micra wie ein

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