Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
ebenso stur. Als ihre wichtigste Stadt Tyros von Alexander dem Großen erobert wurde, bot er ihnen an, jeden zu verschonen, der in den Tempeln Zuflucht suchte. Aber sie starben lieber bei der Verteidigung ihrer Häuser.«
»Und Sie denken, so würde das hier auch ablaufen?«
»Vielleicht«, sagte er lächelnd. »Auf jeden Fall tut es uns gut, Hilfe und Zuflucht in der fernen Vergangenheit zu suchen, meinen Sie nicht auch?«
»Ich glaube, Sie haben recht«, erwiderte sie. Dann sagte sie ermutigt von seiner freundlichen Reaktion auf ihre Neugier: »Ich hab mir Ihre Fotos angeschaut. Sind Sie der Junge da?«
»Ja«, antwortete er. »Und das da ist mein Vater.«
»Ich sehe die Ähnlichkeit«, sagte sie. »Simon hängt auch hier, wie ich bemerkt habe. Und sieht sehr attraktiv aus. Das tut er natürlich noch immer. Obwohl es mir lieber wäre, er würde sich nicht zu mir hingezogen fühlen.«
Sie wusste nicht recht, warum sie das gesagt hatte. Vielleicht hoffte sie auf einen Rat. Oder vielleicht wollte sie auch nur die nach wie vor vorhandene Stärke der psychologischen Verbindung zwischen Childs und seinen Schützlingen testen.
Er antwortete nicht sofort, sondern betrachtete sie einen Moment lang ernst mit seinen gütigen blauen Augen.
Er hätte ein Heiliger sein können, dachte Alva und spürte den Anflug eines schlechten Gewissens. Oder vielleicht Priester. Keiner, der Pech und Schwefel vom Himmel predigte, sondern einer, der versuchte, seine Schäfchen durch Liebe gen Himmel zu führen, nicht, ihnen Furcht einzuflößen und sie, so gefügig gemacht, vor sich her zu treiben. Eine seltsame Einschätzung seitens einer überzeugten Atheistin, die ihre Brötchen damit verdiente, nach den Wurzeln des Bösen im Menschen zu graben.
Dann lächelte er und sagte: »Offen gestanden, meine Liebe, sehe ich da kein Problem. Schön zu wissen, dass Simon auch nur ein Mensch ist. Sein einziger Fehler ist vielleicht, dass er ein bisschen was von einem Pfadfinder an sich hat. Aber wie schon Baden Powell wusste, können selbst Pfadfinder in Versuchung geraten. Er empfahl dagegen eiskalte Duschen, aber ich bin sicher, bei Ihren fachlichen Fähigkeiten können wir auf das Wasser verzichten! Und nun lassen Sie uns unseren Tee trinken.«
Alva empfand das nicht unbedingt als das größte Kompliment, das ihr je gemacht worden war, aber es bestätigte ihr Gefühl, dass die Lösung des Problems, obwohl es nicht ihres war, von ihr kommen musste, so ungerecht das auch sein mochte.
Sie achtete darauf, dass ihre Beziehung zu Homewood niemals zu zwanglos wurde; das war nicht immer leicht, da sie ihn sehr mochte. Da fiel ihr der Umgang mit George Proctor in gewisser Weise leichter. Der betrat jetzt das Büro und nahm vor dem Schreibtisch des Direktors seine übliche halbmilitärische Haltung ein.
Erst nachdem Homewood ihn dazu aufgefordert hatte, setzte er sich widerwillig ganz vorne auf die Stuhlkante. Die nächsten paar Minuten lauschte er aufmerksam Homewoods genauen Anweisungen, woraufhin er nickte und sagte: »Also besondere Beobachtung wegen Suizidgefahr, aber er soll nicht merken, dass wir ihn beobachten, richtig?«
Homewood, der Proctors knappe Art seit Jahren kannte, lächelte und sagte: »Ich denke, so könnte man es ausdrücken, George. Möchten Sie noch irgendwas hinzufügen, Dr. Ozigbo?«
»Nur dass Sie mich bitte sofort informieren, ganz gleich um welche Uhrzeit, falls Hadda darum bitten sollte, mich zu sehen.«
»Meinen Sie, die Zeit könnte eine entscheidende Rolle spielen?«, fragte Homewood.
»Der gestörte Geist ist unablässig damit beschäftigt, Fenster zu öffnen und zu schließen. Es ist wichtig, die Gelegenheit zu nutzen, wenn das richtige Fenster aufgeht.«
»Verstehe. Haben Sie das mitbekommen, George?«
»Ja, Sir. Dr. Ozigbo über ihren Piepser benachrichtigen, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit. Dann müssen Sie aber gut drauf achten, dass Sie das Ding auch anhaben, Miss.«
»Oh, das werd ich, George. Das werd ich.«
Proctor stand auf, um zu gehen, und auch Alva erhob sich. Homewood schien kaum zu registrieren, dass sie ging, und beschäftigte sich mit irgendwelchen Papieren auf seinem Schreibtisch. Als Kavalier alter Schule stand er normalerweise auf und begleitete sie bis zur Tür. Aber er hatte sich angewöhnt, bewusst zu demonstrieren, dass er sie lediglich als ganz normale Angehörige seines Mitarbeiterstabs sah, wenn Proctor oder einer seiner Officer dabei waren.
Als sie gemeinsam den Flur
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