Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
nigerianischer Vater auch bei Minustemperaturen im kurzärmeligen Hemd herumlief und bei den ersten Anzeichen wärmeren Wetters anfing, sich die verschwitzte Stirn zu wischen und die Klimaanlage hochzudrehen.
Alva dachte, dass sie von beiden nur die Nachteile abbekommen hatte. Sie war keine Sonnenanbeterin und sie hasste die durchdringende Kälte der winterlichen Stadt.
Als sie an diesem Abend von der Arbeit nach Hause kam, hatte der Ostwind sie wie ein fanatischer Stalker verfolgt, seit sie aus ihrem Auto gestiegen war, und sie in die Eingangshalle ihres Mietshauses getrieben, wo ihr immer noch die Zähne klapperten, als sie stehen blieb, um in ihren Briefkasten zu schauen. Es befand sich bloß ein einziger Brief darin, und als sie den Poststempel sah, wurde ihr noch kälter.
Cumbria.
Soweit sie wusste, hatte sie nur eine Verbindung zu Cumbria.
Aber die Handschrift war ihr fremd.
Rasch lief sie die Treppe hoch zu ihrer Wohnung im zweiten Stock. Die Zentralheizung hatte sich schon automatisch eingeschaltet, und sie drehte das elektrische Kaminfeuer auf die höchste Stufe, damit ihr schneller warm wurde.
Pfarrei St Swithin’s
Mireton
Cumbria
Sehr geehrte Dr. Ozigbo,
verzeihen Sie bitte, dass ich mich an Sie wende, aber ich benötige einen Rat, und soweit ich das derzeit beurteilen kann, sind Sie die Einzige, die ihn mir geben kann. Ich bin der Vikar von St Swithin’s, in West Cumbria, und seit letztem November gehört Wilfred Hadda zu meiner Gemeinde. Vorab sei gesagt: Ich weiß, dass er früher Ihr Patient war, es vielleicht sogar noch immer ist, und dass Sie als Ärztin zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet sind, daher habe ich nicht vor, Sie um irgendetwas zu bitten, das dagegen verstoßen könnte. Ich möchte Ihnen nur einige Informationen zukommen lassen und Sie um Ihren sachverständigen Rat bitten, ob ich deswegen etwas unternehmen sollte, und, wenn ja, was.
Ich besuche Mr Hadda etwa alle zwei Wochen. Ich kann zwar nicht behaupten, dass die hiesige Bevölkerung seine Rückkehr begrüßt hätte, aber nach einigen heftigen Reaktionen zu Anfang hat sich die Situation doch erheblich entspannt. Hilfreich dafür war sowohl die relativ abgeschiedene Lage von Birkstane, seinem Haus, als auch Mr Haddas Zurückhaltung, die er sich selbst auferlegt hat. Soweit ich weiß, hat er keinerlei Versuche unternommen, mit irgendjemandem in der Gemeinde Kontakt aufzunehmen. Meine eigenen Gespräche mit ihm verlaufen alles in allem auf einem durchaus formellen Niveau, obgleich ich das Thema seiner Straftat und deren Konsequenzen nicht vermieden habe. Einerseits hat er auf mich den Eindruck gemacht, ein recht ruhiger und ordentlicher Charakter zu sein (und zu meiner Überraschung auch ein ziemlich sympathischer), andererseits ist mir bewusst, dass die Bürde, die er mit sich herumträgt, oftmals schwer auf ihm lasten muss. Eines konnte ich jedoch nicht feststellen, nämlich ein deutliches Zeichen von Reue oder Bußfertigkeit. Als ich ihm das unterbreitete, sagte er mir mehr oder weniger, ich sollte mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.
Nun ist dies aber in einem ganz konkreten Sinne meine Angelegenheit, und ich darf meinen generell guten Eindruck von Mr Hadda und meinen Respekt vor seinen Rechten nicht höher bewerten als meine Pflichten gegenüber den übrigen Angehörigen meiner Gemeinde. Ich möchte in der Lage sein, ihnen vorbehaltlos zu versichern, dass ich in Mr Haddas Auftreten oder Verhalten nichts festgestellt habe, das auf eine mögliche Gefahr für sie hindeuten könnte. Vermutlich könnte man anführen, es sei ein gutes Zeichen, dass er seine Reue nicht demonstrativ zur Schau stellt. Ich meine, ein Pädophiler, der noch immer nach Gelegenheiten für eine Straftat sucht, würde sich doch wohl bemühen, seinen Sinneswandel kundzutun, oder nicht? Ihre Meinung dazu würde mich interessieren. Doch der Grund für mein Schreiben hat nichts mit dem Zustand seiner Libido zu tun, sondern damit, dass ich auf etwas gestoßen bin, das die Vermutung nahelegt, er könnte in dem Bereich seiner anderen Straftat, Finanzbetrug, nach wie vor ein Meister der Verschleierung sein.
Mr Hadda behauptet, ausschließlich von Sozialhilfe zu leben. Gestern jedoch, als ich allein in seinem Haus war, stieß ich durch Zufall auf einen Karton mit teurem Wein und eine Kiste voller Geld. Sehr viel Geld. Ich hab es nicht gezählt, aber es müssen mehrere Hunderttausend Pfund gewesen sein, jeweils in Bündeln von vierzig
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