Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
Fünfzigpfundscheinen, von denen zwei offenbar fehlten, also £ 4.000.
Ich habe darüber nachgedacht, und eine mögliche Erklärung wäre wohl die, dass er sich während seiner Zeit als Geschäftsmann der Risiken bewusst war, die er einging, und einen Notfonds beiseitegeschafft hat, den er so gut versteckte, dass er bei den Betrugsermittlungen unbemerkt blieb. Die Vorausplanung und die Fähigkeit zur Täuschung, die sich darin zeigen, bereiten mir Sorge. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wenn ich mich an die Behörden wende und er gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen hat, könnte das zu seiner sofortigen erneuten Inhaftierung führen. Das möchte ich nicht verantworten. Wenn es jedoch symptomatisch für seinen betrügerischen Charakter ist und wenn sich herausstellt, dass er auch seine alten Triebe nur verborgen hat und sie irgendwann hervorbrechen und er einem meiner Gemeindemitglieder Schaden zufügen könnte, würde ich mir das wohl nie verzeihen.
Natürlich könnte ich ihn zur Rede stellen und rundheraus fragen, woher das Geld kommt und wofür er seit seiner Freilassung £ 4.000 ausgegeben hat. Aber das würde die sich anbahnende Freundschaft zwischen uns sicherlich im Keim ersticken, und ich bezweifle, dass ich die Fähigkeit habe, bei jeder Erklärung, die er mir möglicherweise geben würde, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Ich befinde mich also in einem Dilemma, Dr. Ozigbo, und wende mich Rat suchend an Sie. Mr Hadda hat Ihren Namen und Ihren Beruf erwähnt, beiläufig, aber voller Sympathie, wie mir schien, und ich habe Ihre Adresse aus dem Internet. Heutzutage ist es nicht weit her mit Datenschutz! Und ich möchte Sie Folgendes fragen: Wie überzeugt sind Sie als psychiatrische Expertin, die seine Fortschritte im Genesungsprozess (Verzeihung, ich weiß nicht, wie Sie das nennen, aber ich würde es so bezeichnen) verfolgt haben, dass er keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellt?
Im vergangenen Herbst waren Sie offensichtlich sehr davon überzeugt, sonst hätten Sie ja wohl kaum seine Entlassung auf Bewährung befürwortet. Aber wie überzeugt sind Sie nun, im Lichte dessen, was ich Ihnen soeben mitgeteilt habe?
Wir sind beide mit dem Heilen von Seelen beschäftigt, Dr. Ozigbo, wenngleich in unterschiedlichem Sinn. Ihr Anliegen ist individuell; Sie versuchen, beschädigte Psychen zu kurieren. Mein Anliegen ist seelsorgerlicher Art; mir geht es um das Wohl meiner Gemeinde. Falls Sie sich nicht imstande sehen, mein Schreiben zu beantworten, oder falls Sie in Ihrer Antwort meine Besorgnis nicht vollkommen zerstreuen, werde ich nicht umhin können, den Behörden zu melden, was ich weiß, obwohl ich fürchte, dass dies für Mr Hadda schlimme Folgen haben könnte.
In Erwartung Ihrer Antwort
verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Luke Hollins
Nachdem sie den Brief gelesen hatte, ging Alva in die Küche, holte einen fertigen Geflügelsalat aus dem Kühlschrank, goss sich ein Glas Weißwein ein und nahm beides mit ins Wohnzimmer, wo sie sich vor den Kamin setzte. Ehe sie anfing zu essen, schaltete sie das Radio ein, um die Sechsuhrnachrichten zu hören.
Sie brachten die immer gleiche Litanei. Die Welt steckte in argen Nöten. Nicht ganz dieselben Nöte wie damals, als Wilfred Hadda seine Strafe antrat – jetzt herrschte nicht mehr Besorgnis, weil die Wirtschaft daniederlag, sondern weil sie drohte, sich erneut zu überhitzen –, doch es wurden dieselben Kriege ausgefochten, dieselben Gruppierungen sprengten im Namen derselben Götter Menschen in die Luft, die Polkappen waren noch ein bisschen zurückgegangen, der Meeresspiegel noch ein bisschen gestiegen, ein paar weitere Spezies waren für ausgestorben erklärt worden – nein, alles in allem hatte Hadda bei seiner Freilassung wohl keine signifikante Veränderung festgestellt.
Sie rief sich ihre letzte Begegnung vor rund drei Monaten in Erinnerung. Sie hatte vor dem Gefängnis auf ihn gewartet, als er entlassen wurde. Ansonsten war nur ein kleiner bebrillter Mann in einem klapprigen Toyota da gewesen. Sie erkannte ihn als Mr Trapp, den Anwalt. Sie hatten nie miteinander gesprochen, aber sie hatte ihn gesehen, als er Hadda im Vorfeld der Bewährungsanhörung vertrat. Er war kein besonders beeindruckender Repräsentant seines Fachs, aber anscheinend war er kompetent.
Ihr kam der Gedanke, dass er Hadda einen ziemlich großen Gefallen schulden musste, wenn er nach all der Zeit immer noch dabei war, ihn zurückzuzahlen. Oder aber hier
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