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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Grasflächen, die die Sonne nicht erreicht hatte. In der klaren Luft konnte Imogen die einzelnen Zweige und die Furchen in den Stämmen der ersten Baumreihe erkennen, und weiter weg sah sie einige der großen Berggipfel im Lakeland, deren Namen ihr so vertraut waren wie die ihrer besten Freunde.
    Sie kannte das Wetter in Cumbria. Daher wusste sie, dass sich unmöglich vorhersagen ließ, wie es sein würde, wenn sie am nächsten Morgen aufwachte. Wenn du etwas siehst, das du willst, greif zu, das war schon immer ihr Motto gewesen. Sie ließ ihre ungeöffneten Koffer stehen, ging hinunter in den Trockenraum, wo sie ihre Wanderkleidung bei ihrem letzten Besuch liegen gelassen hatte. Stiefel standen geputzt und gewichst ordentlich in niedrigen Regalen, Jacken und Regenmäntel hingen an Haken. Sie hatte keine Ahnung, wer hier für Sauberkeit und Ordnung sorgte, wusste nur, dass es mit Sicherheit nicht ihre Mutter war. Sie schlüpfte in ein Paar leichte Wanderschuhe, schnappte sich irgendeine Jacke und ging zur Seitentür hinaus.
    An der Terrassenecke traf sie ihren Vater.
    »Hallo«, sagte er. »Gehst du ein bisschen spazieren?«
    »Wäre eine Schande, das Wetter nicht auszunutzen«, sagte sie, ohne ihre flinken Schritte zu verlangsamen.
    Er blickte ihr nach. Sie war zu einer eleganten, wohlgeformten Frau herangereift, aber als sie sich jetzt von ihm entfernte, sah sie nicht viel anders aus als der Teenager, der vor einem Vierteljahrhundert hier übers Anwesen gestromert war. Der Gedanke löste eine Erinnerung aus, die er meistens verdrängte. Plötzlich sah er seine Enkelin vor sich … Ginny … seine bezaubernde, tote Ginny. Bei ihrer Taufe hatte er sich geschworen, dass er alles in seinen Kräften Stehende tun würde, um sie zu beschützen, und er hatte versagt. Wie üblich hatten die Frauen in seinem Leben sich durchgesetzt, und Ginny war überstürzt nach Frankreich gebracht worden, weit weg … um schließlich für immer zu verschwinden …
    Er zwang den Schmerz aus seinem Kopf und konzentrierte sich wieder auf seine Tochter. Die Richtung, in der sie den Garten durchquerte, verriet ihm, wohin sie vermutlich ging. Nicht zu ändern, dachte er, als sie in den Wald tauchte.
    Es war nie zu ändern gewesen.
    Eine halbe Stunde später stand Imogen am anderen Ende des Waldes und blickte auf die Rückseite der Birkstane Farm. Die Grenzmauer war hier teilweise eingestürzt, und sie stieg leichtfüßig über die moosbedeckten Steine. Durch das Küchenfenster sah sie eine Bewegung. Sie war eine tatkräftige Frau und ging schnurstracks zur Hintertür und stieß sie auf, ohne vorher anzuklopfen.
    Auf ihrem Gesicht zeigte sich nur selten Überraschung, aber jetzt war das der Fall.
    Nicht Wolf Hadda saß da am Küchentisch, sondern eine schlanke schwarze Frau mit hohen Wangenknochen und glattem schulterlangem Haar, das einen eigenartigen Ockerfarbton hatte, der nicht künstlich wirkte.
    Imogen sagte: »Hallo.«
    Die Frau antwortete: »Hallo.«
    Imogens Blick glitt durch den Raum. Schmutziges Geschirr in der Spüle, eine Tasse, eine Schüssel, ein Teller. Wolf, allein, spülte nie nach einer Mahlzeit, immer erst vor der nächsten. Also Frühstück für eine Person.
    Sie sagte: »Ist Wolf nicht zu Hause?«
    Die Schwarze antwortete: »Offensichtlich nicht.«
    »Warten Sie auf ihn?«
    »Ein Weilchen.«
    Imogen gefiel die unaggressive Art, mit der sie sich weigerte, Informationen preiszugeben. Im Augenblick war der unausgesprochene Wettstreit darum, wer das größere Recht hatte, in Wolfs Küche zu sein, ziemlich ausgeglichen.
    Im Kamin war Papier und Anzündholz vorbereitet, und daneben lag ein Stapel trockener Scheite.
    Sie sagte: »So einen schönen Tag sollte man nicht drinnen vergeuden, aber falls Sie noch lange hier sitzen, sollten Sie das Feuer anmachen.«
    Dann wandte sie sich um und ging, ohne sich damit aufzuhalten, die Tür hinter sich zu schließen.

11
    Sie hätte die Tür zumachen sollen, dachte Alva Ozigbo.
    Sie hatte gewusst, dass es Haddas ehemalige Ehefrau war, sobald sie die Küche betrat, und nicht nur weil sie in seiner Akte Fotos von ihr gefunden hatte. Allerdings wäre es nicht leicht gewesen, sie anhand der Fotos wiederzuerkennen. Auf all denen war sie nämlich modisch-elegant gekleidet und wirkte äußerst beherrscht. Die Frau, die in Stiefeln und einer alten Jacke durch die Tür getreten war, das Gesicht vom schnellen Gehen in der kalten Luft gerötet, kleine Ästchen und Rindenstücke im Haar, weil sie unter

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