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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Beifahrertür und bugsierte ihn auf den Sitz. Dann ging er um den Wagen herum zur Fahrerseite. Dort blieb er stehen, als warte er auf weitere Anweisungen.
    Aber der Axtmann war bereits ebenso verschwunden wie das auf dem Strand verstreute weiße Pulver in den anbrandenden Wellen.

10
    Imogen Estover traf vier Tage vor Weihnachten in Schloss Ulphingstone ein. Sie parkte ihr himmelblaues Mercedes-E-Klasse-Coupé, hupte kurz und schritt dann durch den Haupteingang, wohl wissend, dass sich das gut ausgebildete Personal ihrer Mutter auch unaufgefordert um das Gepäck kümmern würde.
    »Darling, du kommst früher als erwartet. Wie schön«, sagte Lady Kira und küsste die Luft rechts und links von Imogens Wangen, der engste Körperkontakt, den sie sich erlaubte, wenn sie Make-up aufgelegt hatte.
    »London ist grässlich. Auf drei Meilen Entfernung kannst du den Gestank von der Oxford Street riechen«, sagte Imogen. »Ich hab an die Berge im Sonnenlicht gedacht und musste einfach weg. Ich kann’s nicht erwarten, rauszukommen.«
    Lady Kira rümpfte die Nase. Obgleich sie gelegentlich Sehnsucht nach den weiten Landstrichen kaukasischer Wildnis heuchelte, wo ihre Familie angeblich Besitzungen gehabt hatte, und sich sogar manchmal einer Jagdgesellschaft auf dem Anwesen anschloss – wobei sie sich oft als bessere Schützin erwies als die meisten Männer –, konnte sie der freien Natur nichts abgewinnen. Bergwandern war in ihrem Wortschatz ein Euphemismus für widerrechtliches Betreten fremden Grundbesitzes, und das einzig Gute an der Kletterei war, dass immer mal wieder ein Idiot, der diesem Hobby frönte, dabei umkam.
    Dass ihre Tochter sich für derlei Beschäftigungen begeisterte, war in ihren Augen so etwas wie eine Art Geschlechtskrankheit, mit der sie sich bei dem Holzfällersohn angesteckt hatte. Aber wenn sie im Laufe ihrer Jahre als Imogens Mutter eines gelernt hatte, dann, dass ihre Tochter einen ebenso starken Willen hatte wie sie selbst, also ging sie nicht auf die Bemerkung ein und sagte lediglich: »Wo ist Toby?«
    »Wahrscheinlich räumt er gerade seinen Schreibtisch frei, damit er seine fette Sekretärin darauf bumsen kann«, sagte Imogen. »Er kommt morgen mit dem Zug.«
    Kira verzog den Mund, und einen überraschten Moment lang dachte Imogen, ihre Anspielung auf Tobys Untreue hätte sie aus der Fassung gebracht, doch sie wurde rasch eines Besseren belehrt.
    »Mit dem Zug?«, sagte Kira ungläubig. »Pasha kommt morgen mit dem Wagen, genauer gesagt, er lässt sich in seinem schönen Bentley herfahren. Ich bin sicher, er würde Toby mit Vergnügen mitnehmen.«
    »Ich denke, Toby nimmt lieber den Zug.«
    Ihre Mutter runzelte die Stirn.
    »Er fährt lieber mit dem Pöbel als mit jemandem, der nicht nur ein sehr wichtiger Mandant von ihm ist, sondern auch ein Verwandter von mir und jedermanns Freund«, sagte sie. »Wieso das?«
    Imogen sagte: »Ich kann es mir wirklich nicht erklären, Mummy. Du vielleicht?«
    Ihr Vater erschien.
    Er sagte: »Da bist du ja, Liebes. Hab den Wagen gesehen«, und umarmte sie.
    »Hallo, Daddy«, sagte sie. »Du siehst gut aus.«
    »Ach ja?«, sagte Sir Leon skeptisch. »Nett, dass du das sagst. Bleibst du länger?«
    »Nun ja, auf jeden Fall bis nach Weihnachten.«
    »Ah ja, Weihnachten. Ist Toby nicht mitgekommen?«
    »Der kommt morgen. Und wie ich höre, dürfen wir uns auch auf die Gesellschaft von Vetter Pasha freuen.«
    »Was? Ach so. Nikotin«, sagte Sir Leon ohne jede Begeisterung.
    »Ni-kii-tin«, sagte seine Frau gereizt.
    Imogen lächelte ihren Vater an und tätschelte ihm sanft den Arm.
    »Ich geh meine Sachen auspacken«, sagte sie.
    Ihre Eltern sahen sie aus dem Raum gehen, dann fragte Sir Leon: »Weiß sie, dass Wolf wieder in Birkstane ist?«
    »Davon gehe ich aus«, sagte seine Frau.
    »Aber du hast es nicht erwähnt?«
    »Wenn sie es weiß, warum sollte ich sie daran erinnern?«, entgegnete Lady Kira. »Und wenn nicht, warum sollte ich es ihr erzählen?«
    Sie standen da und sahen einander an. In ihrem Blick lag Gleichgültigkeit und in seinem die leere Verständnislosigkeit, die rasch an die Stelle des nahezu mythischen Stolzes getreten war, den er als Vierzigjähriger empfunden hatte, als er sich umwandte und seine wunderschöne achtzehnjährige Braut durch die Kirche auf sich zukommen sah.
    Eine Etage höher stand ihre Tochter im breiten Erker ihres Ankleidezimmers und blickte über den Rasen hinweg auf den Wald. Noch immer glitzerte Frost auf den schattigen

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