Rache: Zwei Schwestern. Ein Traum. Die Stärkere gewinnt (German Edition)
bei der Maniküre gewesen, oder beim Waxing, oder beim Friseur, um sich die Haare nachfärben oder die Brauen zupfen zu lassen. Aber dieser eine Nagel blieb dauernd in den Klamotten hängen, und der Finger tat weh, wenn sie auf den Liftknopf im Hotel drückte. Sie kaute schon lange nicht mehr an den Nägeln, aber der hier machte sie wahnsinnig.
»Hören Sie«, sagte Amber und zupfte an der eingerissenen Nagelhaut, »ich weiß, es ist ein bisschen merkwürdig, dass ich Sie einfach so anrufe, aber ich dachte …«
»Ja?«
Sie räusperte sich und blickte hinaus aus dem Fenster auf Manhattan, das unter einer Schneedecke lag. Die Lichter der Restaurants und Bars um das Hotel herum leuchteten golden, warm und einladend.
Sie war nervös, aber seltsamerweise fühlte sich das eigentlich gut an. »Ich weiß, Sie haben bestimmt ziemlich viel zu tun, aber ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht vielleicht Lust hätten, mit mir etwas zu trinken? Ich würde gerne erklären, warum ich in Mexiko … so komisch gewesen bin.« Und wenn er sich gar nicht mehr erinnerte? So wichtig war sie in seinem Leben ja wohl nicht. Bestimmt hatte er den Abend längst vergessen. »Na ja, jedenfalls würde ich Ihnen gerne einen Drink ausgeben.«
Entsetzlich. Was tat sie da nur? Sie verbockte es komplett. Kein Wunder, dass ihr Liebesleben sich bisher auf ein paar katastrophale Dates und Leo beschränkt hatte, der sie ja nahezu hypnotisiert hatte; es war so schwer, sich eine solche Blöße zu geben. Zornig auf sich selbst, riss Amber an dem Hautfetzen am Nagelrand und stieß einen kleinen Schmerzensschrei aus.
»Hey – alles okay mit Ihnen?«
»Äh – ja, sicher.« Amber verdrehte die Augen. »Also, ähm … was meinen Sie?«
Eine Pause entstand.
»Gern«, sagte Matt, und sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Ich hätte Lust. Kennen Sie das Lance’s? Eine Bar im West Village, Horatio und Greenwich Street? Treffen wir uns dort. In zwanzig Minuten?«
Amber liebte New York. Am Anfang ihrer Karriere als Popstar war sie häufig zu Proben und Aufnahmen hier gewesen und mit Marco durch die Bars gezogen. Wo mochte er jetzt sein, der gute, liebe, lustige Marco? Er war auch so gerne hier gewesen.
Das Lance’s befand sich in einem alten klassischen Backsteingebäude; es war eine coole Bar voller entspannter ruhiger Menschen, von denen mindestens zwei so berühmt waren wie sie. Sie erkannte einen britischen Popstar, der gerade in den USA seinen Durchbruch gehabt hatte, eine Schauspielerin, die im selben Jahr den Oscar für die beste weibliche Nebenrolle bekommen hatte, in dem auch Chelsea nominiert worden war, und den Regisseur, mit dem sie ein Verhältnis hatte. Und doch marschierten sie einfach von der Straße aus herein; sie waren nicht in einer abgedunkelten Limousine gekommen, um, flankiert von Sicherheitsleuten, in einem abgeteilten Bereich auszusteigen. Sie trugen keine Sonnenbrillen und machten auch kein großes Theater um ihre Person. Sie saßen einfach mit den anderen Gästen zusammen, plauderten und lachten und sahen zu, wie die Fenster von innen beschlugen. Es war kalt draußen; in der kommenden Woche war Weihnachten.
Sie hatte schon Filme gedreht über Paare, die Weihnachten nach New York zurückkehrten. Man hatte tonnenweise falschen Schnee in Culver City verteilt und ihr und ihrem Partner passende Schals und Mützen angezogen, während sie unter der kalifornischen Sonne schwitzten. Aber es war eine Weile her, dass Amber sich im Dezember tatsächlich an einem Ort aufgehalten hatte, an dem echter Schnee fiel, es weihnachtlich roch und man den Mantel zuknöpfen musste, bevor man hinausging. Aber Weihnachten war für Familien. Amber hatte mit Familie nicht mehr viel am Hut.
Matt und sie tranken Mojitos. Beim ersten Cocktail machten sie höfliche Konversation: Wie läuft es im Musikgeschäft, was ist Ihr nächstes Projekt, haben Sie schon gehört, was XY mit Z machen will – der übliche unverfängliche Small Talk der Branche, der die Atmosphäre entspannte.
Doch beim zweiten Drink fragte Matt sie plötzlich nach ihrer Schwester.
»Ich habe mich immer wieder gefragt, was da passiert sein mag«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Sie wirkten auf mich ziemlich verärgert wegen dieser Sache.«
Amber blickte amüsiert auf. »Sie hatten mich gerade erst kennengelernt. Woher wollen Sie wissen, dass ich nicht immer so bin?«
»Es kam mir einfach so vor«, erwiderte er. »Es war offensichtlich ein wichtiges Thema für Sie, und als Sie
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