Rache: Zwei Schwestern. Ein Traum. Die Stärkere gewinnt (German Edition)
hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Und dann richtete sie sich auf und sang »Send in the Clowns«.
Ihre Stimme war nicht besonders, und manchmal brach sie, doch das Lied war für Sänger mit geringem Stimmvolumen geschrieben worden. Es war ein ruhiges, bewegendes und treffendes Lied über jemanden, der Chancen vergeudet und Fehler gemacht hatte – und sie interpretierte es hinreißend.
Als sie endete, war es einen Moment lang totenstill, dann brach tosender Applaus aus. Chelsea verbeugte sich. Sie war es nicht gewöhnt, live aufzutreten, aber sie war ziemlich sicher, dass es ihr gefallen könnte. Sie bedankte sich bei ihrem Publikum und begann ein bisschen zu plaudern.
Aus Time Out, London, März 2004
Der Sunday Club
Heißester Termin für wahre Szenegänger ist der Sonntagabend im Roxy’s. Der gepflegte Strip-Club, in dem während der restlichen Woche auf hohem Niveau getanzt wird, zeigt sonntags ein Programm, das man gesehen haben muss. Junge Darsteller, darunter ein paar aufregende Neulinge, treten in einer Art »Show in der Show« auf. Obwohl ursprünglich nur dazu gedacht, neue Ideen auszuprobieren (achtmal pro Woche Les Misérables zu spielen ist nicht so spaßig, wie man vielleicht glauben könnte), hat sich längst eine beliebte Revue entwickelt, und die wahre Sensation darin ist Chelsea Stone – erinnern Sie sich? Sie singt ein wenig, erzählt ein wenig, und man kann kaum glauben, dass sie erst 26 Jahre alt ist, denn ihre rauchige Stimme und der Glamour goldener Barzeiten erinnern an eine Elizabeth Taylor in der Blüte ihrer Karriere: leicht übergewichtig, unverkennbar verlebt, um die Augen zu stark geschminkt, aber durch und durch bezaubernd und unwiderstehlich. Der Sunday Club ist ein Geheimtipp – aber wir glauben, dass ein Star wiedergeboren ist.
Chelsea saß backstage im Umkleidebereich der Tänzerinnen, den die Darsteller im Sunday Club als Garderobe und Requisitendepot benutzten. Sie wollte gerade aus dem engen schwarzen Schlauchkleid steigen und für den fünfminütigen Fußweg nach Hause in die Jeans schlüpfen.
Ihr kleiner Club, ihr kleines Reich – all die Probleme und Schwierigkeiten, die ihr Job mit sich brachten, schmolzen dahin, sobald sie auf die Bühne trat. Das Haar zu einem dicken Knoten gewunden, die Augen im Stil der sechziger Jahre mit schwarzem Eyeliner betont, begann sie ihre Nummer, in der sie den Ex-Kinderstar spielte, der sich für eine Diva hielt. Gott, sie liebte es.
Im Spiegel betrachtete sie ihr Gesicht. Sie war erschöpft. Es war eine anstrengende Woche gewesen: Zwei Russinnen hatten im Roxy’s angefangen und brauchten viel Training. Sie sprachen wenig Englisch, und Chelsea fragte sich bereits, ob es wirklich schlau gewesen war, sie einzustellen. Und die Erneuerung der Lizenz für den Alkoholausschank hatte sich als kompliziert erwiesen; in der Bezirksverwaltung Westminsters saßen echte Schufte.
Aber wann immer sie im Rampenlicht stand, war alles in Ordnung. Ja, sie liebte die Bühne, sie liebte sie sehr; manchmal erschreckte es sie, wie sehr sie die Bühne liebte.
Sie hob die Hand, um die Nadeln aus ihrem Haar zu ziehen, als sie eine Stimme hinter sich hörte. »Chelsea Stone, sieh an. Wer hätte das gedacht.«
Sie fuhr in ihrem Stuhl herum. »Simon?«, sagte sie. »Oh, mein Gott!«
Vor ihr stand tatsächlich Simon Moore, Regisseur von Roxys neun Leben. Sie hatte ihn seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Er hatte ihr geschrieben, als ihr Vater gestorben war, aber dann hatten sie den Kontakt zueinander verloren. Er schien sie immer ein wenig zu gut verstanden zu haben, und wenn die Dinge nicht so gut gelaufen waren, hatte ihr das Unbehagen bereitet. Doch nun freute sie sich aufrichtig, ihn zu sehen.
Sie sprang auf und warf sich in seine Arme. »Wow, verdammt schön, dich wiederzusehen, Simon. Hast du die Show gesehen?«
Simon blickte in ihre schönen blauen Augen, sah die Frau, zu der sie geworden war. »Allerdings. Es ist lang her, Chelsea.«
»Ja«, sagte sie ernüchtert und setzte sich wieder. »Wie ist es dir ergangen? Ich habe die Adaption der Beatles-Biographie gesehen – verdammt großartig. Du hast es echt noch immer drauf, was?«
Simon schüttelte lächelnd den Kopf. »Lieb von dir. Ich könnte dasselbe von dir sagen. Du warst brillant. Wie immer schon.«
»Oh, danke.« Chelsea strahlte ihn an. »Das höre ich gerne.«
Mitglieder des Sunday Clubs schlurften in den Umkleidebereich und wieder hinaus. Einer rief: »Sehen wir uns in der
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