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Rache

Rache

Titel: Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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greifen, dass er Reste zerbrochenen Glases in seiner Achselhöhle spürte. Als er endlich den Sicherungsknopf ertastet hatte, drehte er ihn langsam mit Daumen und Zeigefinger.
    Vorsichtig zog er seinen Arm aus dem Loch.
    Ohne einen einzigen Kratzer.
    Toby drehte den äußeren Knauf und betrat die Küche. Dort blieb er bewegungslos stehen und lauschte auf die Geräusche im Haus. Er hörte das leise Summen der Küchenuhr, das Brummen des Kühlschranks und die typischen Knarzgeräusche, die Häuser eigentlich immer von sich geben, besonders, wenn draußen ein starker Wind weht.
    Niemand daheim, dachte er.
    Aber sicher kannst du nicht sein.
    Aber das Haus fühlte sich verlassen an.
    Tu trotzdem so, als wären sie da.
    Wer weiß, dachte Toby. Vielleicht waren sie ja wirklich alle zu Hause. Das Auto konnte ja auch in Reparatur sein.
    Ja, die sind hier, sagte er sich. Und haben gehört, dass ich die Scheibe eingeschlagen habe.
    Leise ging er zu dem Telefon an der Wand und hob den Hörer ab. Er hörte das Freizeichen.
    Zumindest rief niemand von einem anderen Apparat aus die Polizei an.
    Und niemand wird das tun.
    Toby tippte auf gut Glück sieben Zahlen ein, bekam ein Besetztzeichen und ließ den Hörer an seiner Strippe nach unten baumeln.
    Dann zog er seine Turnschuhe aus.
    Er wollte Sherrys Pistole aus der Hosentasche nehmen, überlegte es sich dann aber doch wieder anders. Warum mit einer Waffe in der Hand durch das Haus schleichen? Das würde die Leute nur erschrecken …
    Leute, die eh nicht da sind.
    Falls nötig, konnte er die Pistole innerhalb einer halben Sekunde aus der Tasche ziehen.
    Aber er wollte sowieso niemanden erschießen. Das machte keinen Spaß. Und außerdem war es viel zu laut. Die Pistole hatte er nur für den Notfall dabei.
    Statt der Knarre nahm Toby das Messer aus der Tasche und klappte es auf.
    Mit der Klinge hinter dem Rücken ging er durch die Küche, wo er mit seinen durchgeschwitzten Socken um ein Haar auf den glatten Fliesen ausgeglitten wäre. Er war froh, als er den dicken, weichen Teppich im Esszimmer erreicht hatte.
    Keine Menschenseele war hier zu sehen.
    Ebenso wenig wie im angrenzenden Wohnzimmer.
    Hier stand auf einem niedrigen Tischchen neben einem Lehnsessel ein weiteres Telefon, an das ein Anrufbeantworter angeschlossen war. Das rote Lämpchen blinkte.
    Jemand hatte eine Nachricht hinterlassen.
    Ein weiterer Hinweis darauf, dass niemand zu Hause war.
    Aber kein Beweis. Manche Leute hören ihre Anrufbeantworter nur ungern ab. Toby selbst gehörte zu ihnen. Und Sid. Das hatte Dawn immer halb wahnsinnig gemacht. Was ist bloß los mit euch beiden?, hatte sie oft gegreint.
    Und Sid hatte geantwortet: Es interessiert mich einen feuchten Scheißdreck, wer angerufen hat. Du kannst es ja nicht sein, denn du bist hier. Und der Rest geht mir am Arsch vorbei.
    So oder ähnlich.
    Aber Toby wusste, dass das nicht der wahre Grund gewesen war. Auch er hatte Botschaften auf dem Anrufbeantworter und unerwartete Telefonanrufe gefürchtet. Ebenso wie fremde Leute, die an der Tür klingelten und sogar den Anblick eines Umschlags im Briefkasten.
    All das nämlich konnte bedeuten, dass jemand es herausgefunden hatte.
    Eine erneute Untersuchung hat ergeben, dass Ihre Eltern vor dem Unfall, bei dem sie in ihrem Wagen verbrannten, bereits tot waren.
    Toby verspürte ein eiskaltes Loch im Magen.
    Vergiss es, sagte er sich. Das ist nicht passiert, und es wird auch nicht passieren. Über diese Sache ist Gras gewachsen.
    Er lachte laut auf.
    Bist du verrückt? Wenn das jetzt jemand gehört hat?
    Aber es hat niemand gehört. Hier ist keiner zu Hause.
    Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
    Toby stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf und rief: »Hallo! Ist hier jemand? Hier spricht die Polizei. Die Gegend muss evakuiert werden! Ihr Haus liegt direkt in einer Brandschneise.«
    Keine Antwort.
    Er eilte von Zimmer zu Zimmer. Alle waren aufgeräumt, vom Sonnenlicht durchflutet und menschenleer.
    Dann ging er zurück in den Flur.
    Es ist wirklich niemand zu Hause.
    Er fühlte sich erleichtert. Jetzt konnte er sich entspannen. Keine Notwendigkeit zu übereilten Handlungen. Er musste nicht schießen, musste keine Geiseln nehmen. Aber irgendwie war er auch enttäuscht.
    Auf einmal kam ihm das Haus vor wie ein hübsch verpackter und in Erwartung einer freudigen Überraschung geöffneter Geschenkkarton, der sich überraschend als leer erwiesen hatte.
    Aber es wird nicht immer leer bleiben , überlegte er.

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