Rache
sah Sherry sich nach Papierhandtüchern um.
Es gab keine, nur elektrische Handtrockner.
»Na toll«, murmelte sie und setzte den nassen Fuß auf den Boden. Die Kacheln fühlten sich an, als lägen irgendwelche Krümel darauf.
Wenigstens hat hier niemand hingepinkelt. Hoffentlich.
Sherry drehte den Warmwasserhahn zu. Das kalte Wasser ließ sie weiterlaufen und klatschte es sich, tief übers Waschbecken gebeugt, mit beiden Händen ins Gesicht. Dann rieb sie sich mit den Fingerspitzen das eingetrocknete Blut vom Hals und wusch vorsichtig ihr verletztes Ohrläppchen mit verdünnter Seifenlauge.
Dabei schaute sie immer wieder zur Tür und fragte sich ängstlich, wie viel Zeit sie wohl schon hier drinnen verbracht hatte.
Bisher war alles gut gegangen.
Vielleicht kommt er gar nicht rein. Warum sollte er das Risiko eingehen?
Sherry drehte sich so, dass sie im Spiegel ihre aufgeschürfte rechte Schulter sehen konnte. Ohne ein sauberes Tuch oder Papierhandtücher war es sehr schwierig, die Wunde zu reinigen. Das galt auch für ihre übrigen Hautabschürfungen.
Eigentlich konnte sie dafür ja auch Klopapier nehmen.
Aber dafür noch mal in die Kabine gehen?
Halb barfuß?
»Kommt nicht infrage«, raunte sie.
Dann fiel ihr ein, dass sie ja noch ihre linke Socke hatte. Vielleicht konnte sie damit ihre Wunden säubern?
Habe ich überhaupt Zeit für all das?, fragte sie sich.
Warum nicht? Vielleicht gibt Toby das Warten auf und fährt weg.
»Wer’s glaubt«, sagte sie.
Bis jetzt hatte sie die Damentoilette noch immer für sich allein. Warum sollte sie also nicht noch etwas länger bleiben und ihre Verletzungen versorgen? Als Pfadfinderin hatte sie gelernt, dass offene Wunden so schnell wie möglich mit Wasser und Seife gereinigt werden mussten, um Infektionen zu verhindern. Und aufgrund mehrerer Fernsehberichte hatte sie in den letzten Jahren einen Horror vor »fleischfressenden Bakterien« entwickelt.
Auf dem nackten rechten Fuß stehend, zog sie sich den linken Schuh und die linke Socke aus. Die Sohle der Socke war schweißgetränkt, aber das obere Ende rund ums Fußgelenk machte einen trockenen und sauberen Eindruck. Sie weichte es unter warmem Wasser ein, wrang es aus, drückte einen Spritzer Seife drauf und tupfte damit vorsichtig die Schürfwunde auf ihrer Schulter ab.
Wenn das hier vorbei ist, dachte sie, lege ich mich erst mal in die Badewanne. Mindestens eine Stunde lang …
Aber Toby hat meine Schlüssel!
Wenn das hier vorbei ist, hat er sie nicht mehr, sagte sie sich. Denn es ist natürlich erst dann vorbei, wenn ich alles wiederhabe …
Auch Duane?
Gut möglich, dass sie den gar nicht wiederhaben wollte. Schließlich hatte er sie ja überhaupt erst in diese Lage gebracht, weil er die verdammten Gummis erst mal mit irgendeiner blöden Schlampe ausprobieren musste.
Wie konnte er das nur tun ?, fragte sie sich. Wo er doch wusste, dass ich im Bett auf ihn warte? Was ist er bloß für ein gemeiner Scheißkerl?
Und ich dachte, ich bedeute ihm was.
Wahrscheinlich hat die Schlampe größere Titten als ich.
Wer hat die denn nicht?
»Der kann mich mal kreuzweise«, murmelte sie.
Ihr kamen die Tränen.
Ich dumme Kuh, dachte sie. Ich hätte einfach im Bett bleiben sollen. Aber nein, ich musste mir ja solche Sorgen um ihn machen und nach ihm suchen bis ich diesem Toby in die Arme gelaufen bin.
Ich muss ich mich halb vergewaltigen lassen, bloß weil Duane so ein hinterhältiger Scheißkerl ist …
Nachdem sie leise vor sich hinschluchzend die Schürfwunden an ihrem Körper gereinigt hatte, wusch sie die Socke mit klarem Wasser und wrang sie aus. Während sie sie wieder anzog und in den linken Schuh schlüpfte, liefen ihr noch immer die Tränen über die Wangen.
So toll war Duane nun auch wieder nicht, sagte sie sich. Eigentlich sollte ich froh sein, dass ich ihn los bin. Und dass ich diesen verlogenen Bastard durchschaut habe, bevor ich mit ihm ins Bett gegangen bin. Sieht aus, als wäre heute mein Glückstag. Sie lachte und schüttelte den Kopf.
Heute ist tatsächlich ein Glückstag, dachte Sherry. Schließlich bin ich gleich zwei dreckigen Scheißkerlen entronnen. Ein wenig ramponiert zwar, aber ohne bleibende Schäden.
Durch Schaden wird man klug.
»Frau auch«, murmelte sie.
Nun nicht mehr weinend, schaute sie ihrem Spiegelbild ins Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Du siehst aus wie ein Wrack«, sagte sie.
Dann beugte sie sich noch einmal übers Waschbecken und klatschte sich Wasser ins
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