Rache
Sicht.
4
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Der Parkplatz gehörte zu dem Minimarkt und einem im selben Gebäude untergebrachten Waschsalon und bot Platz für mindestens ein Dutzend Fahrzeuge.
Nur vier Stellflächen waren belegt.
Duanes Lieferwagen war nicht da, aber Sherry wusste, dass er lieber auf einem der beiden Stellplätze hinter dem Gebäude parkte, die von der Straße aus nicht zu sehen waren.
Den Blick starr auf den Bereich hinter der Gebäudeecke gerichtet, ging Sherry weiter den Gehweg entlang.
Bis sie das Heck eines weißen Lieferwagens sah.
Und ihr der Herzschlag stockte.
Rasch überquerte sie den Parkplatz. Und mit jedem Schritt, den sie tat, kam mehr von dem Lieferwagen in Sicht.
Obwohl Duane, der mit seltenen alten Büchern handelte, den Lieferwagen beruflich nutzte, hatte er ihn nicht mit einer Aufschrift versehen lassen. Sein Wagen war komplett weiß, genauso wie der, auf den Sherry jetzt zuging.
Erkennen würde sie Duanes Lieferwagen an einem Aufkleber.
Er befand sich auf der hinteren Stoßstange und verkündete: ICH WÜRDE JETZT LIEBER LESEN.
Bis jetzt konnte Sherry die Stoßstange dieses Wagens noch nicht sehen.
Aber dann war sie am Heck des Fahrzeugs angelangt.
ICH WÜRDE JETZT LIEBER LESEN.
Ja, es ist seiner.
Und jetzt werden wir mal herausfinden, was hier los ist.
Hoffnungsvoll, aber auch ziemlich nervös eilte Sherry zur Vorderseite des Wagens und spähte durch das linke Seitenfenster.
Die Fahrerkabine war leer.
Er muss noch im Laden sein.
Sie ging um das Heck des Lieferwagens herum zum Eingang des Speed-D-Mart. Als sie sich der Tür näherte, schlurfte aus dem Bereich vor dem Waschsalon ein Mann auf sie zu. Trotz der Hitze trug er Wintermantel, Mütze und dicke Stiefel. Seine Kleidung wirkte verwahrlost, und Hände und Gesicht starrten vor Dreck. Die Haare und der Bart waren so verfilzt, dass auch der kräftigste Windstoß sie nicht zerzausen konnte.
»Hätten Sie mal’nen Vierteldollar, Lady? Ich hab seit zwei Tagen nix mehr zwischen den Zähnen gehabt.«
Sherry schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid«, sagte sie und betrat raschen Schrittes den Laden, wobei sie einen großen Bogen um den Bettler machte.
Der Minimarkt war hell erleuchtet.
Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Sherry, dass der Mann ihr nicht folgte, und sah, wie er zurück in Richtung Waschsalon trottete.
Seine Klamotten könnten eine Wäsche vertragen.
Sherry schämte sich für ihre Gedanken, aber sie konnte es nun mal nicht ausstehen, wenn sie angebettelt wurde. In Los Angeles konnte man bald nirgends mehr hingehen, ohne dass irgendwelche Penner unvermittelt aus dunklen Ecken auftauchten und einen um Geld angingen. Aus dem Fernsehen wusste sie, dass viele dieser Bettler Schwindler waren. Einige von ihnen verdienten mehr Geld als sie.
Und viele waren gefährlich.
An der Ladentheke tippte der Verkäufer gerade die Einkäufe einer stämmigen Frau in die Kasse ein. Die Frau hatte Lockenwickler im Haar.
Sherry schaute sich um. Über den Warenregalen, die nur bis Brusthöhe reichten, sah sie die Köpfe von vier weiteren Kunden.
Duane war nicht dabei.
Aber das musste noch lange nicht heißen, dass er sich nicht doch in dem Laden befand - vielleicht war er ja in die Hocke gegangen, um weiter unten in einem Regal etwas zu suchen. Sherry trat in den ersten Gang, in dem sich links die Toilettenartikel befanden.
Hier blieb sie stehen und betrachtete das Angebot: Kämme, Zahnbürsten, Zahnpasta, Deodorants, Rasierer und Rasiercremes, Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel, Kondome.
Kondome .
Ein halbes Dutzend Sorten in hübschen kleinen Verpackungen hingen an einem Ständer im oberen Teil des Regals.
Die kann man nicht übersehen, dachte sie. Duane muss sie gefunden haben.
Aber wo steckt er dann?
Langsam ging Sherry durch die beiden Gänge mit den Regalen. Es dauerte nicht lange. Jetzt wusste sie, dass Duane definitiv nicht im Laden war.
Sie ging zurück zum Regal mit den Toilettenartikeln.
Einer der wenigen Kunden im Laden stand jetzt ausgerechnet einen Meter von dem Ständer mit den Kondomen entfernt.
Ist ja toll, dachte Sherry.
Einfach nicht beachten.
Im Vorbeigehen holte sie sich ein Päckchen Kondome aus dem Ständer.
Der Fremde nahm keine Notiz von ihr.
Errötend ging Sherry raschen Schrittes weiter zur Kasse, wo sich gerade ein weiterer Kunde vom Verkäufer einen Sixpack Budweiser einpacken ließ.
Sherry öffnete ihre Handtasche und holte die Geldbörse heraus.
Der Kunde nahm seine Tüte und
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