Racheakt
nicht«, überlegte Skorubski. »Ich gehe mal bei den Kollegen nachfragen, ob es irgendeine eine Meldung gab. Vielleicht über eine Auseinandersetzung in Sielow oder ein auffälliges Auto.«
Nachtigall nickte ihm dankbar zu, als er den Raum verließ.
»So – du bist der Psychologe! Ich will wissen, wie du die Chancen für Jule einschätzt. Hat sie überhaupt eine?«, fragte er dann.
»Der Täter spielt ein neues Spiel. Schwer zu sagen, was er plant«, antwortete Emile.
»Gut – ich stelle fest, du bist keiner von diesen Schönrednern.«
Sie nickten sich zu.
»Der Täter klebt das Foto an meine Tür. Das nächste Opfer ist für den 17. angekündigt. Er hat sich meine Jule ausgesucht. Aber die anderen Mädchen hat er ausspioniert, überrascht und getötet. Er hat sie nicht als Geiseln genommen, sondern sofort zugeschlagen. Warum ist es bei Jule anders?« Nachtigall schob schwungvoll seinen Stuhl zurück und begann unruhig auf und ab zu gehen.
»Der Täter weiß, dass es sich um meine Jule handelt. Das war kein Zufall. Er wollte mir zeigen, wo ich verwundbar bin. Das bedeutet auch, er muss mir hinterher spioniert haben. Wer von unseren Verdächtigen weiß schon, dass ich eine Tochter habe!«
»Hast du Grabert gegenüber Jule erwähnt?«
»Nein. Mit Sicherheit nicht. Und auch Wilde gegenüber nicht. – Er hat Jule gewählt, damit ich auf jeden Fall mitspielen muss. Er wollte diesmal sicher gehen. Wir haben den Brief an die Zeitung nicht veröffentlicht. Da hat er vielleicht geglaubt, er wird von uns nicht ernst genommen. Dann das Bild. Und nun, wo er Jule hat, ist er sich seines Gegners sicher«, analysierte er weiter.
Die Tür wurde aufgerissen und Michael Wiener streckte seinen Kopf ins Büro.
»S’isch ein G’ländewage g’wese. Die Mutter drei Häuser weiter hot ihre Kinder g’rad vom Spiele g’holt un da isch ihr der Wagen aufg’falle. Modell weißt se net. Aber dunkel isch er g’wese. Se hot g’sehe, wie Jule eing’stiege isch.«
Die Tür fiel wieder ins Schloss und sie hörten den jungen Mann über den Flur hasten.
»Jule steigt doch nicht einfach so in ein fremdes Auto. Das lernen doch schon die Kleinsten«, meinte Emile.
»Es sei denn, sie war sicher, von der Person im Auto gehe keine Gefahr für sie aus.«
»Dann hat sie den Fahrer gekannt?«
»Nein, nicht unbedingt. – Nein.«
Er ließ sich schwer in den Stuhl fallen und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
»Wir sind Idioten. Wir hatten schon so oft den richtigen Ansatz – und ich habe es mir immer wieder ausreden lassen, weil ich es auch nicht glauben wollte! Aber so macht alles einen Sinn!«
Er sprang wieder auf, ließ den völlig verblüfften Psychologen sitzen und stürmte auf den Gang hinaus um sein Team zusammenzurufen.
»Fakt ist, Jule würde nicht zu einem Fremden in den Wagen steigen. Sie muss den Fahrer also für harmlos gehalten haben! Und was ist für ein junges Mädchen schon harmloser als eine Frau!«
»Eine Frau? Ich denke, eine Frau könnte die Opfer nicht getragen haben?« Albrecht Skorubski war skeptisch. »Und eine Frau verstümmelt doch keine andere. Das kann ich nun wirklich nicht glauben.«
»Eine starke Frau konnte die Opfer vielleicht schon tragen. Eine Frau, die entschlossen genug ist und über große Kraft verfügt. Seht ihr nicht, wie gut dann auf einmal alles zusammenpasst? Warum ist das erste Opfer nicht auf die nahe Straße geflohen? – Weil die Person, die hinter ihr ging, eine Frau war! Die Spur von Jana Neumann verliert sich nach dem Kinobesuch. Sie wird nicht gezögert haben bei einer Frau ins Auto zu steigen, die ihr anbietet, sie nach Hause zu fahren. Und wir nehmen an, der Täter sei bei seinem dritten Opfer, Bianca Weiß, ähnlich vorgegangen wie bei dem Mord an Anna Kranz. Auch sie wird sich keine Gedanken gemacht haben, wenn eine Frau ihr folgt. Eltern warnen ihre heranwachsenden Töchter vor den Gefahren, die von Männern ausgehen – nicht vor Frauen!«
»Das leuchtet mir ein. Es war aber jeweils nur ein Schlag, mit dem die Opfer getötet wurden. Die Frau muss über enorme Kraft verfügen. Und was ist mit dem männlichen Schamhaar?«, Albrecht Skorubski war nicht endgültig überzeugt.
»Wir wissen doch gar nicht, ob das überhaupt vom Täter stammt! Wir haben es nur bereitwillig geglaubt, weil es in unser Bild gepasst hat! Da kam wohl der Zufall ins Spiel und hat uns auf eine falsche Fährte gelockt! Also, welche Frauen spielen denn in unserem Fall überhaupt eine
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