Racheakt
Abitur und durfte ein Studium beginnen. Meine Schwester ging mit Jungs aus, holte meinem Stiefvater nachts einen runter und wurde dafür fürstlich belohnt. Den Schulabschluss hat sie nie gemacht. Aber das sei auch nicht nötig, bei dem Gesicht und der Figur.«
Die Fremde nahm sich noch ein Brötchen.
Jule fielen die muskulösen Finger auf. Die Frau bemerkte den Blick und lächelte.
»Vom Sport.« Sie streifte die Ärmel ihres Pullis hoch und das Mädchen sah, wie kräftig die Arme waren – und die vielen Narben, die sich bis zum Ellbogen zogen.
»Ja, war in der Pubertät. Mit der Rasierklinge meines Stiefvaters.«
Sie schwiegen.
»Du liebst deinen Freund, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich hatte auch mal einen. Jakob hieß er. Jakob Merkel. Aus meiner Studiengruppe. Er war ein wundervoller Mensch. Verständnisvoll, warmherzig. Ich dachte wirklich, jetzt kann ich all das Schlimme hinter mir lassen und ein neues Leben beginnen. Wir hatten rosarote Pläne für die Zukunft, wollten zusammenziehen, heiraten, Kinder haben. Und eines Tages wartete ich vor der Uni auf ihn und er kam nicht. Sonst war er immer superpünktlich. Nach einer Stunde ging ich nach Hause. Als ich die Tür aufschloss, hörte ich seine Stimme. Erst dachte ich, alles sei ein Missverständnis gewesen und er habe hier auf mich gewartet, statt mich an der Uni zu treffen. Doch dann hörte ich, woher die Stimmen kamen – aus dem Zimmer meiner Schwester. Ich lauschte. Sie stöhnten, das Bett quietschte, sie sprachen über ihre rosarote Zukunft. Was will auch einer wie du von so einer hässlichen Bohnenstange? Und Jakob? Der antwortete, das verstünde er jetzt auch nicht mehr und hätte er nur die geringste Ahnung von der schönen Schwester gehabt, hätte er sich doch niemals …Ich schlich in mein Zimmer und plante meinen Suizid, dann den Mord an Jacob, an meiner Schwester, an meiner Familie. Meine Mutter verkündete beim Abendessen, der Junge sei wirklich klug und habe zum Glück noch die richtige Entscheidung getroffen. Wäre doch schade mit jemandem wie mir etwa noch Kinder in die Welt setzen zu wollen.«
»Hart.«
Während die Fremde weitersprach, stand sie auf und nahm ein Foto aus ihrer Tasche. Sie hielt es Jule hin.
»Hier, das ist das einzige Bild, auf dem wir gemeinsam zu sehen sind.«
Jule betrachtete die beiden Gesichter schweigend. Der junge Mann trug die sanft gelockten Haare schulterlang und sein Kinn zierte ein schütteres Bärtchen. Die dunklen Augen mit dem liebevollen Blick und die lange, schmale Nase ließen ihn wie einen Jesusdarsteller aussehen. Im Arm hielt er eine junge Frau, die strahlend in die Kamera sah. Schon in ihrer Jugend hatte sie ihre Haare kurz getragen. Das maskuline Gesicht hatte damals noch etwas weicher gewirkt.
»Ich muss nicht erzählen, dass sie ihn nach kurzer Zeit abservierte und zu mir zurückschickte, nicht wahr. Doch mir war inzwischen die Diagnose Krebs eröffnet worden.«
Sie zog den Pullover hoch, öffnete den BH und Jule sah eine verunstaltende Narbe, auf der sich Kelloid wie ein Geschwür ausgebreitet hatte.
»So wollte mich natürlich keiner mehr. Ich bin nicht einmal mehr äußerlich eine richtige, intakte Frau. Er wollte mich nicht mehr.«
Jule wandte den Blick ab.
»Ich glaube, für mich wäre die Beziehung ohnehin beendet gewesen, wenn mein Freund mich mit einer anderen betrogen hätte. Ob nun Schwester oder nicht.«
»Ja. Das kann nur jemand sagen, der die freie Auswahl hat. Der nicht dankbar sein muss, wenn sich überhaupt einer findet. Ich habe ihn geliebt – und sie hat ihn mir gestohlen. Es ging ihr nur um den Triumph!«
»Aber er hat doch mitgespielt! Aus Liebe hätte er sich doch weigern können – doch er hat die Gelegenheit genutzt, die sich ihm bot. Das bedeutet doch, er hat es mit Ihnen nie ernst gemeint. Wäre es nicht Ihre Schwester gewesen, dann eben später irgendeine andere Frau. Er war mindestens genau so schuld, wie sie.«
»Nein! Du hast keine Ahnung! Du jungsches Gör! Männer sind schwach, sie lassen sich immer verführen, wenn es eine darauf anlegt. Sie haben es nicht anders gelernt!«
Jule konnte später nicht sagen, wo sie den Mut zu diesem heftigen Widerspruch hergenommen hatte. Aber sie fing an, sich über diese Frau zu ärgern.
»Männer sind genauso stark oder schwach wie Frauen. Es gibt keinen Grund ihnen mehr Freiheiten einzuräumen, nur weil sie angeblich verführbarer wären. Von meinem Freund erwarte ich mehr!«
Doch diesen Einwand schien die Frau gar
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