Racheakt
die Frau plötzlich auf. »Tot, tot, tot!«
»Der Sohn tot, die Tochter tot – das ist ja wirklich grausam«, seufzte Peter Nachtigall. »Michael soll sich nachher gleich mal an seinen Computer setzen und rausfinden, wann und wie der junge Mann gestorben ist. Mensch, das ist ja wirklich eine Katastrophe!«
Kurze Zeit später saßen sie im Café Lauterbach gegenüber dem Bahnhof.
»Ob der Täter den Zeh wohl als Trophäe aufbewahrt?«, überlegte Skorubski leise, während er auf seine heiße Milch wartete.
»Vielleicht braucht er so was. Du weißt schon – sexueller Hintergrund eben«, mutmaßte Peter Nachtigall und goss einen kräftigen Schluck Sahne in seinen Kaffee. Nachdenklich rührte er um und wünschte sich eine Zigarette dazu. Jule hatte ihn damals, als ihre Mutter so überraschend aus ihrem Leben verschwand, gebeten, dieses ungesunde Laster aufzugeben, schließlich habe er als allein erziehender Vater eine große Verantwortung. Und versprochen ist versprochen, dachte er, gerade zwischen Vater und Tochter – er würde sich daran halten.
Peter Nachtigall bemühte sich, seine Gedanken wieder dem Fall zuzuwenden.
»Kannst du dich noch an diesen Fußfetischisten erinnern? Diesen Typen, der im Sommer Jugendliche gebeten hatte mit bemalten Füßen auf der Sprem über Packpapier zu laufen? Die jungen Leute hielten das für eine große Gaudi – aber für den Kerl hatte das ganze Happening einen ernsthaften Hintergrund – er erregte sich sexuell durch den Anblick der Fußspuren und onanierte darauf. Was mag aus dem wohl geworden sein?«
Skorubski zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß gar nicht, wie man so ein Stück Mensch aufheben kann. Das fängt doch nach kurzer Zeit an zu verwesen«, überlegte er nach einer Pause.
»In der Patho legen sie die Präparate in Formalin ein«, stellte Nachtigall fest.
»Kriegt man das einfach so zu kaufen?«
»Vielleicht in der Apotheke. Aber das Einlegen geht auch sehr gut mit Alkohol. Mit hochprozentigem Schnaps zum Beispiel. Wir haben als Kinder mal einen Hirschkäfer gefunden und in Kirschwasser eingelegt. Ich glaube der steht immer noch bei meiner Schwester im Keller«, erzählte Nachtigall und probierte vorsichtig mit gespitzten Lippen seinen Kaffee.
»Oder er hat ihn eingefroren«, setzte er dann hinzu.
Gedankenverloren beobachtete er, wie sein Freund Honig in die Milch tropfen ließ. Die Farbe erinnerte ihn unwillkürlich an Sonne und Urlaub. Ein Blick auf die Straße hinaus ernüchterte ihn allerdings sofort wieder: Grauer Himmel, leichter Nieselregen – und der Winter stand erst noch bevor!
Das Mobiltelefon in seiner Jacke vibrierte. Nachtigall zerrte es ungeschickt heraus und lächelte. Auf den fragenden Blick seines Kollegen antwortete er: »Eine SMS von Jule. Sie wird heute das Abendessen vorbereiten und meint, ich soll nicht so spät kommen, sonst schmeckt es nach Pappe.«
»Wie weiter?«, fragte Skorubski und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Heute würde er mal pünktlich Schluss machen müssen. Er war mit seiner Frau verabredet und sie würde sicher gar kein Verständnis für ihn und noch weniger für seinen Beruf haben, wenn er ausgerechnet am Hochzeitstag zu spät käme. Frauen waren in solchen Dingen manchmal unglaublich zickig, wusste er.
»Du kommst schon nicht zu spät«, beruhigte ihn Peter Nachtigall. »Wir werden uns jetzt ihren Freund Jens Wilde vornehmen. Das Adressbuch soll Michael durchgehen.«
»Sag mal – wie lange braucht man eigentlich um so ein Bett aus Moos und Reisig zu bauen? Hat er die Leiche währenddessen abgesetzt?«
»Keine Ahnung. Das müssen wir ausprobieren.«
»Angenommen er brauchte dazu ungefähr eine Stunde. Er legte das Opfer ab, drapierte die abgeschnittenen Brüste und die Haare im Baum, nahm ihre Kleider und ging. – Dann könnte er ja noch in der Nähe gewesen sein, als die Polizei kam. Womöglich ging er einfach an den Sperrbändern vorbei, ohne dass er von uns bemerkt wurde. Als habe das mit ihm nichts zu tun.«
Plötzlich schmeckte Peter Nachtigall der Kaffee nicht mehr.
7
Jens Wilde hatte geweint. Seine Augen waren gerötet, die Augenlider glasig geschwollen, die Nase lief, und war vom Putzen leicht entzündet. Mit belegter Stimme bat er die Herren von der Polizei, die ihm die aufgedonnerte Vorzimmerdame angekündigt hatte, in sein Büro.
Der Raum war ausgesprochen kühl und sachlich eingerichtet, der Schreibtisch hatte eine Platte aus geeistem Glas, an den Wänden hingen
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