Racheakt
Cottbus nur vom Hörensagen.«
»Hören Sie, wenn das nach hinten losgeht, kann es uns beide den Job kosten! Mir graust vor den Schlagzeilen der Boulevardpresse. Heute hat schon ein Blatt »Der Schlächter von Cottbus« getitelt. Das ist ja endlich mal wieder so ein echter Aufreißer«, er seufzte tief.
»Wir kriegen ihn schon. Je mehr Leute involviert sind, desto unhandlicher wird das Ganze.«
»Ich bin im Grunde auch kein Freund von diesen Großveranstaltungen. Da gehen Ermittlungsergebnisse verloren, die Kommunikationswege sind zu lang, es gibt Animositäten. Und natürlich wird die Presse von so was immer angelockt. Dann kriegen wir Cottbus in den nächsten Tagen gar nicht mehr aus den Schlagzeilen und Topmeldungen raus. Vielleicht haben Sie Recht. Aber machen Sie hinne, Herr Nachtigall! Bis der Oberstaatsanwalt aus seinem Urlaub zurück ist, will ich den Fall geklärt haben!«
»Okay. Wir schaffen das schon«, antwortete Nachtigall mit einer Zuversicht, die er so nicht empfand.
Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, als das Telefon erneut schrillte. Die Spurensicherung sei mit der Überprüfung des Zimmers des Opfers fertig.
»Lass uns doch mal sehen, was wir über das Opfer erfahren können. Michael, Sie checken, was der Computer zur Vorgehensweise so anzubieten hat«, bestimmte Nachtigall und war schon auf dem Gang.
Auf dem Schreibtisch in Annas Zimmer lagen ein Adressbuch und ein Stapel Liebesbriefe. Auf ihrem Nachttisch standen mehrere Fotos, die einen ausgesprochen sportlichen jungen Mann zeigten, mit dunklen Haaren, sonnengebräunter Haut und erotisch-dekorativen Sandspuren auf der Haut.
Peter Nachtigall betrachtete es nachdenklich: Barbie liebt Kent – Kent liebt Barbie.
War das ein geeigneter Ansatz für ihre Ermittlungen? Wohl eher nicht. Er verwarf den Gedanken.
Hatte Jule eigentlich zurzeit auch einen Freund? Missmutig stellte er fest, dass er es nicht wusste. Wie gut, dass er das Thema Beziehung für sich damals abgehakt hatte, als Birgit so plötzlich verschwunden war. Er sah kritisch an sich herunter. Da gab es nichts zu deuteln – er wurde langsam aber sicher zu dick. Aber es gab auch niemanden, der sich daran stören durfte. In seinem Leben war kein Platz für irgendwelche Beziehungen. Und im Moment war das auch ganz in Ordnung so, stellte er ein wenig trotzig fest.
Die Liebesbriefe waren von einem Jens verfasst, der seiner Anna ewige Liebe schwor. Nachtigall war sich ziemlich sicher, dass dieser Jens der Mann auf den Fotos war.
Aus dem Adressbuch erfuhren sie seinen vollständigen Namen und seine Adresse.
»Büro & Style, Hubertusstraße. Das ist hinter der alten Feuerwehr. Gleich beim Büro um die Ecke«, Albrecht Skorubski kannte sich in Cottbus mindestens so gut aus wie ein Taxifahrer.
»Das war ja mal ein wirklich ordentliches junges Mädchen«, stellte Peter Nachtigall erstaunt fest. »Guck mal, sie hat sogar die Bücher im Regal alphabetisch geordnet. Mann, ich glaube meine Jule hat ein eher gestörtes Verhältnis zu jeglicher Form von Ordnung oder Ordnungssystem. Ganz die Mutter.«
»Ja«, schniefte Annas Tante, die die beiden Polizisten nicht aus den Augen ließ, und Nachtigall, der ihre Anwesenheit fast vergessen hatte, zuckte zusammen. »Die Anna war schon immer sehr ordentlich. Und so ein artiges Kind. Mit dem Mädchen hatten die Eltern nie irgendwelche Probleme. Ganz anders als der Bruder. Der war ja nur in ernsten Schwierigkeiten.«
Nachtigall nickte der verhärmten Frau kurz zu.
»Brecht, Böll, Camus, Fontane, Schiller, Weizsäcker … Ziemlich exklusiver Geschmack für ein junges Mädchen, findest du nicht?« Albrecht Skorubski ging Titel und Autoren durch.
»In ihrem Rucksack hatte sie einen Krimi. Offensichtlich hat sie also auch andere Bücher gelesen. Hmm. Sieh mal, der Mann auf dem Foto ist sicher ein paar Jahre älter als sie – vielleicht hat sie nur versucht zu beeindrucken oder mitzuhalten«, überlegte Peter Nachtigall.
Sie steckten das Adressbuch ein und nahmen eines der Fotos mit. Die Schwester von Frau Kranz begleitete sie zur Tür.
»Ich hoffe, den Eltern von Anna geht es bald wieder besser«, sagte Peter Nachtigall, als sie sich an der Tür verabschiedeten.
»Und ich hoffe, Sie finden dieses Schwein! So schnell wie möglich!«, gab die Tante den beiden Ermittlern mit auf den Weg.
»Wo können wir Annas Bruder erreichen? Vielleicht hat sie ihm ja etwas Wichtiges anvertraut, das uns weiterhelfen könnte.«
»Er ist tot!«, schluchzte
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