Racheakt
Bemerkung gemeint? Wer ist Jelinek?«
»Oberleutnant Jelinek. Er hat für die MUK hier in Cottbus gearbeitet, zu DDR-Zeiten. Das war die Abteilung für Mord und Kapitalverbrechen. Er hat mal einen spektakulären Fall gelöst, konnte aber nicht einmal eine Leiche vorweisen.«
»Aha«, Wieners hochroter Kopf tauchte wieder auf und er fragte: »Ein Mord ohne Leiche? Krass!«
»Ja. Eine Art Hausmeister hatte in der Schule die Leiche verbrannt. Es war schrecklich. Das Opfer war ein kleines Mädchen. Zehn Jahre alt. Schülerin an der Oberschule an der Bahnhofstraße. Heute heißt die Paul-Werner-Gesamtschule. Er hat die Kleine über einen längeren Zeitraum zu sexuellen Handlungen genötigt. Irgendwann hat sie wohl gedroht, sie werde es ihren Eltern erzählen. Da ist er wohl in Panik geraten und hat sie erschlagen. Später hat er ihre Leiche in der Heizungsanlage der Schule verbrannt. Jelinek hat ihn dazu gebracht den Mord zu gestehen und der Polizei genau vorzuführen, was er getan hatte – und dann wurde er verurteilt.«
»Un?«
»Na, ja. Er hat seine Strafe abgesessen und nach seiner Freilassung Ende der Achtziger mit anderen zusammen einen Riesenaufstand hier angezettelt. Die haben doch tatsächlich behauptet, sie seien von Jelinek und seinem Kollegen bei den Verhören gefoltert worden! Die Presse stürzte sich sofort auf das Thema und hat die Kollegen auf Schritt und Tritt verfolgt. Das muss das reinste Spießrutenlaufen gewesen sein. Schlussendlich stellte ein Gericht fest, dass die Anschuldigungen jeglicher Grundlage entbehrten und schnell wie der Wind war die Presse wieder verschwunden. Doch die Kollegen haben sich von dieser Hetzkampagne lange nicht richtig erholen können. Jelinek ist in den Ruhestand gegangen – ich glaube, er jagt gern und geht jetzt diesem Hobby nach. Sein Kollege ist geblieben. Der Täter ist meines Wissens 1992 an einer Herzsache gestorben.«
»Mann, was für eine Story.«
»Ich glaube, der Staatsanwalt wollte uns zum einen bestärken gut zu arbeiten, was wir ja immer tun, zum anderen sollte es wohl auch eine Warnung sein. Schließlich sieht uns die Presse zu und eine Kampagne gegen die Polizei anzuzetteln ist ein Leichtes. Untätigkeit ist doch immer der Lieblingsverdacht der Presse gegen uns!«
»Untätigkeit, Dummheit, blinder Aktionismus …
G’rad jetzt, wo die Polizei wege dieser Androhung von Folter bei Verhöre in den Medien ohnehin so lang präsent gewese isch. Ich mein diesen Fall, wo sie einem Entführer mit ›starken Schmerzen‹ g’droht habe, wenn er nicht verrät, wo er sei Geisel versteckt hat.« Michael Wiener war nur noch schlecht zu verstehen, weil er wieder untergetaucht war, um an einem anderen Kabel zu rütteln.
»Schon jemanden gefunden? Suchen Sie jetzt sogar unter dem Schreibtisch?« Peter Nachtigall trat kauend ins Büro.
»Wolltest du nicht in der nächsten Zeit auf Kuchen & Co verzichten?« Albrecht Skorubski tat nachdenklich, als versuche er ernsthaft, sich an den genauen Wortlaut des Gesprächs zu erinnern.
Doch Nachtigall blieb gelassen, biss ein neues Stück ab und wandte sich ungerührt dem jungen Mann zu, dem es noch immer nicht gelungen war, die Verbindung zum polizeiinternen Netz wieder herzustellen.
»Michael?«
»Ich versuch es gleich noch mal. Das Ding ist abgestürzt.«
»Jule meint, die junge Frau könnte im Glad House gewesen sein. Da war neulich ein Konzert SPNX. Das könnte auch Jugendliche aus der weiteren Umgebung angelockt haben. Ich hab’ schon mal eine Streife mit dem Foto des Opfers hingeschickt. Vielleicht hat ja einer der Angestellten das Mädchen gesehen.«
Das Telefon klingelte herrisch und Albrecht Skorubski nahm den Hörer ab.
»Ja. Gut. Wir kommen.«
»Einer von uns soll zur Pathologie kommen. Dr. Pankratz ist so weit«, informierte er die anderen.
Peter Nachtigall klopfte dem inzwischen gewaltig entnervten Michael Wiener aufmunternd auf die Schulter und meinte:
»Nur die Ruhe. Der arbeitet schon wieder mit. Erst wenn der PC glaubt, dass man ihn jetzt eigentlich nicht mehr wirklich oder gar dringend braucht, springt er wieder an. Vielleicht sollten Sie ihn einfach für ein paar Minuten ignorieren – die funktionieren oft wie pubertäre Jugendliche.«
»Na – kein Wunder, dass du dich dann damit so gut auskennst. Jule sei Dank!«, frotzelte Albrecht Skorubski und zwinkerte dem jungen Kollegen zu, der sich mühsam unter der Tischplatte vorgearbeitet hatte, um sich wieder an der Tastatur zu schaffen zu
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