Racheakt
auf ihre zusammengepressten Lippen zu zwingen.
»Hansi, ich bin Peter«, wandte sich der Hauptkommissar an den jungen Mann, bevor die Situation eskalieren konnte. Er zog sich einen der Küchenstühle heran und setzte sich dicht neben ihn. Hansi sah kurz auf und Peter Nachtigall bemerkte, dass der Junge stark schwitzte.
»Du brauchst vor mir wirklich keine Angst zu haben«, versuchte er in beruhigendem Ton einen neuen Kontakt herzustellen. »Ich möchte dich nur ganz kurz was fragen. Ist das in Ordnung?«
Hilfe suchend sah Hansi seine Mutter an. Doch die verzog keine Miene, sodass endlich Frau Probst sich einschaltete – wohl um die ganze Angelegenheit abzukürzen und ihr Morgendate doch noch zu retten.
»Hansi – der Mann tut dir nichts. Es ist in Ordnung.«
Erleichterung ließ das Gesicht gleich viel freundlicher wirken. Hansi schob seine dunklen Haare aus der Stirn und sah den fremden Mann aus stahlblauen Augen neugierig an.
»Kennst du Anna Magdalena?«
Der sanfte Ton schien nun jede Barriere abgebaut zu haben, denn Hansi nickte eifrig.
»Die wohnt hier in der Nähe, nicht?«
Wieder ein Nicken.
Konnte der Junge vielleicht gar nicht sprechen? Peter Nachtigall überlegte, wie er seine Fragen am besten formulieren konnte, sodass der junge Mann möglichst mit non-verbalen Zeichen auskam.
»Findest du sie hübsch?«, wagte er sich dann weiter vor.
»Was soll das? Klar findet er sie hübsch! Warum auch nicht. Sie war ja wirklich nett anzusehen! Daraus kann an ihm doch nun wirklich keinen Strick drehen!«, mischte sich nun die Mutter aufgeregt ein.
Peter Nachtigall reagierte nicht auf das Gezeter. Er sah Hansi abwartend an.
Nach langer Pause nickte der Junge wieder.
Und gerade als Hauptkommissar Nachtigall anfing sich zu fragen, ob Hansi möglicherweise der Einfachheit halber immer nickte, wenn jemand von ihm eine Antwort forderte und ob nicht tatsächlich diese Befragung völlig unsinnig war – sagte Hansi plötzlich:
»Anna lieb.«
»Anna war lieb zu dir?«
»Ja. Anna mag Hansi.« Heftiges Nicken unterstrich diesen Satz.
»Wie hast du das gemerkt?«
Hansi runzelte die Stirn und fing wieder an in seinen Arm zu kneifen. Er sah sich um.
»Zu schwer«, zischte Frau Probst.
»Hansi, was hat Anna lieb gemacht?«
»Anna spricht mit Hansi.«
»Anna geht mit Hansi nach Hause.«
»Jetzt ist aber Schluss! Frau Probst! Sagen Sie denen, dass jetzt Schluss ist!«, wetterte die Mutter, doch Frau Probst hüllte sich in trotziges Schweigen. Ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes und Frau Schmidt zog ihre Kittelschürze fester um sich, als wolle sie sich wärmen.
»Hansi, hast du auf Anna gewartet?«
Ein Nicken.
»An der Bahn?«
»Anna nicht mehr da«, traurig senkte Hansi die Stimme und seine Lider flatterten.
»Ja. Anna kommt nicht mehr«, bestätigte Peter Nachtigall und legte tröstend seine Hand auf Hansis muskulösen Unterarm. Kraft genug für einen tödlichen Schlag würde er ohne Probleme aufbringen können. Und groß genug um das Mädchen zu überwältigen war er auch.
Sollte dieser junge Mann? Dabei wirkte er eher wie ein liebevoller Teddybär.
»Hansi Anna auch streicheln.« Dieses Bekenntnis unterbrach das fast andächtige Schweigen wie ein Peitschenknall.
»Blödsinn! Davon träumt der Junge doch bloß! Die Anna hatte doch einen Freund – die hätte sich doch von so einem wie meinem Hansi gar nicht angrapschen lassen. Nie!«
Mit einer herrischen Handbewegung schnitt Nachtigall ihr das Wort ab.
»Wollte Anna, dass Hansi sie streichelt?«
Trauriges Kopfschütteln.
»Anna rennt weg. Läuft ohne Hansi.«
»Du hast sie angefasst und dann ist sie ohne dich nach Hause gegangen.«
Nicken.
»Hansi wartet. Anna nein.«
»Du bist hinter ihr gegangen.«
Zögern. Nicken.
»Frau Probst! Ja merken Sie denn nicht, dass der Junge sich um Kopf und Kragen redet? Jetzt unternehmen Sie endlich was!«
Frau Probst warf einen geringschätzigen Blick auf die Mutter ihres Schützlings. Dann wandte sie sich wieder dem Beamten am Tisch zu.
»Herr Hauptkommissar!« Evelin Probst lächelte süßsauer und überprüfte, ob sich der Nagellack an der linken Hand in den letzten Minuten verändert hatte. »Sie wissen doch genau, dass all diese Aussagen nicht beweiskräftig sind. Wollen Sie also nicht endlich damit aufhören unsere Zeit sinnlos zu verplempern? Ich habe schließlich auch ein Recht auf Privatleben.«
»Hast du Anna gesehen?« Peter Nachtigall ließ sich nicht beirren.
»Anna schläft im
Weitere Kostenlose Bücher