Racheakt
unglücklichen Mann, der das Mädchen gefunden hatte, und suchten nach Hinweisen darauf, wie die junge Frau hergekommen sein könnte.
Peter Nachtigall warf einen letzten Blick auf das zarte, blasse Gesicht der Toten, durch das sich die tiefen Schnittwunden wie tiefrote Bahnen zogen.
»Ich glaube diesen Anblick werde ich mein Lebtag nicht vergessen!«, stöhnte er leise, als der Sargdeckel geschlossen wurde.
»Dabei dachte ich schon bei unserem letzten Opfer, das sei das Schlimmste, was ich je zu Gesicht bekomme. Soll ich davon ausgehen, dass der gleiche Täter wieder zugeschlagen hat?«
»Das kann ich nun wirklich noch nicht sagen – aber ich denke, es spricht vieles dafür. Morgen wissen wir mehr.« Dr. Pankratz klopfte dem Ermittler tröstend auf die Schulter.
»Diesmal haben wir Kleidungsstücke gefunden. Wie beim letzten Mord hat der Täter die Schuhe des Opfers ordentlich vor diesem »Bett« abgestellt – aber er hat dem Mädchen die zusammengefaltete Jeans als Kopfkissen unter ihren Nacken geschoben. Ähnlichkeiten sind auf jeden Fall gegeben. Ach ja – und eine nackte Barbie lag auch wieder neben dem Opfer.«
Mit diesen Worten reichte der Gerichtsmediziner einen kleinen Plastikbeutel an Nachtigall weiter, in dem sich die Puppe befand. Wieder waren die Brüste mit einem dicken Stift schwarz umrandet, das Gesicht von Strichen durchzogen, die Nase komplett geschwärzt und die Haare abgeschnitten. Zusätzlich waren bei dieser Puppe aber auch noch die Augen umrahmt.
Die beiden Männer nickten sich zum Abschied zu und Dr. Pankratz verließ den grausigen Ort mit raumgreifenden Schritten. Fast ein wenig neidvoll sah Nachtigall hinter ihm her.
Dann riss er sich zusammen, holte ein paar Mal tief Luft, drehte sich entschlossen um und suchte mit den Augen nach Albrecht Skorubski.
Er erkannte, dass der Kollege noch immer mit dem Mann sprach, der das Mädchen gefunden hatte und Nachtigall trat zu einem der Polizeibeamten, die die Fundstelle sicherten.
»Wer ist das?«, fragte er und deutete mit dem Kopf in Richtung des Zeugen.
»Das ist Förster Meybaum. Sein Hund hat die Leiche aufgespürt. Die beiden sind am späten Abend aufgebrochen um eine Wildschweinrotte zu suchen, die sich hier im Wald aufhalten soll. Ein Spaziergänger hatte sich beim Forstamt gemeldet und einen Angriff durch einen wild gewordenen Eber gemeldet. Herr Meybaum sollte überprüfen, ob überhaupt eine Rotte hier sei und ob gegebenenfalls ein besonders aggressives Verhalten eines der Eber zu bemerken wäre. Er fand trotz intensiver Suche gar kein Wildschwein, nicht eines – aber weil er nun ohnehin schon unterwegs war, blieb er bis weit nach Mitternacht im Wald, um nach seinem Wild zu sehen. Er war auf dem Weg nach Hause, als der Hund plötzlich angeschlagen hat. So haben sie dann das tote Mädchen gefunden. – Ich glaube, das hat ihn ganz schön mitgenommen. Am Handy war er kaum in der Lage was Sinnvolles zu sagen«, erklärte der junge Beamte mitfühlend.
»Die Tote war ja nun auch wirklich ein schockierender Anblick. Viel schrecklicher als alles, was ich je zuvor gesehen habe.«
»Der Günter Grabert het übers Wocheend frei g’habt. I hab g’rad a’g’rufe. Vielleicht hat er wieder koi Alibi un dann …«, Michael Wiener war zu Nachtigall gekommen, doch noch bevor er seinen Satz vollenden konnte, fiel ihm Dr. März, dessen Ankunft niemand bemerkt zu haben schien, ins Wort.
»Nun mal nicht so hastig, Herr Kollege. Solange wir weder Todeszeit noch Identität des Mädchens kennen, können wir gar keine Schlüsse ziehen – nicht einmal daran denken können wir! Niemand ist automatisch eines Mordes verdächtig, nur weil er am Tattag zufällig Urlaub hatte. Das Letzte was wir jetzt brauchen können ist ein zweiter Fall Jelinek.«
Michael Wiener schien neben Hauptkommissar Nachtigall zu schrumpfen und gerade als Peter Nachtigall den jungen Kollegen unterstützen wollte, klingelte sein Handy. Er warf einen entschuldigenden Blick in die Runde.
»Ja, guten Morgen Herr Hauptkommissar, hier ist wieder das Pflegeheim Alterslust, Jan-Hendrik.«
»Hören Sie – ich habe einen anstrengenden Beruf. Ich ermittle in einem Mordfall, und gerade in diesem Moment stehe ich hier im eisigen Wind mitten im Wald. Was wollen Sie von mir!«
Erstaunt sahen die anderen ihren Kollegen an.
»Ihre Schwester ist nicht zu erreichen«, entschuldigte sich die Stimme des Pflegers ein wenig beleidigt. »Was soll ich denn machen, wenn Ihre Tante doch nun
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