Racheakt
Wald«, erklärte Hansi, setzte sich plötzlich aufrecht hin und sah Nachtigall fest in die Augen. »Anna friert. Hansi liebt Anna.«
»Hansi und Anna haben sich anfangs gut verstanden. Vielleicht ist sie auch gern mit ihm den dunklen Weg langgegangen, fühlte sich beschützt«, analysierte Skorubski auf dem Weg zur Dienstelle laut.
»Sie haben sich regelmäßig getroffen, haben miteinander gesprochen – soweit das mit Hansi möglich ist – haben sich sogar angefasst. Bis hierhin lief es ganz O.K. Alles völlig harmlos. Doch dann muss ja was passiert sein – die Freundin hat uns erzählt, Anna hatte Angst vor Hansi.«
»Vielleicht hatten sie einen Streit. Hansi wollte mehr als nur Händchenhalten?«, mutmaßte Skorubski. »Wahrscheinlich hat sie ihm das dann verweigert.«
»Aber der Junge hat sich nicht so einfach abschieben lassen. Er hat trotz der Abfuhr an der Haltestelle auf sie gewartet – doch Anna wollte nun auch seine Begleitung nicht mehr. Als er ihr dann trotzdem folgte, hat sie zunehmend Angst vor ihm bekommen. – Ich kann das gut verstehen. Hansi ist ein Koloss und sie hätte nicht den Hauch einer Chance gegen ihn gehabt.«
»Hansi hat uns von der im Wald schlafenden Anna erzählt. Meinst du, er hat sie erschlagen und dann auf dieses Moosbett gelegt? Es tat ihm leid und er wollte es ihr wenigstens so bequem wie möglich machen. Er legt sie hin und deckt sie liebevoll zu. Er hat ja selbst gesagt »Hansi liebt Anna.«
»Gut. Aber wir wissen, dass Anna Magdalena Kranz Angst vor Hansi hatte. Sich zumindest in seiner Anwesenheit nicht mehr wohl fühlte. Da wäre es doch logisch gewesen den Trampelpfad sofort zu verlassen und auf die Straße zu wechseln, als sie ihn hinter sich bemerkte. Es wäre doch so einfach gewesen!«
»In dem Alter handeln sie nicht immer logisch«, hielt Albrecht Skorubski dagegen.
»Und die Brüste?«, überlegte Nachtigall weiter. »Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er ihr die Brüste amputiert. Oder einen Zeh. Dr. Pankratz meint, die beiden Morde wurden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vom selben Täter begangen. Eine Verbindung zu dem anderen Mädchen, na, ich weiß nicht. Er ist ja nicht gerade der Typ, der ständig neue Bekanntschaften schließt. Ich kann ihn mir eben als Täter einfach nicht vorstellen.«
»Wenn es nach meinem Vorstellungsvermögen geht, kommt so eine Verstümmelung gar nicht in Betracht. Ich kann mir überhaupt niemanden vorstellen, der so was Perverses macht – und ich glaube, ich will das auch gar nicht! Aber der Hansi ist offensichtlich nicht ganz Herr seiner selbst – da könnte ich es mir eher denken.«
»Genau deshalb, weil sie meint, die Beamten der Polizei könnten in so einfachen Strukturen denken, wollte uns die Freundin – Laura Hellberg – nichts von Hansi erzählen.«
Peter Nachtigall fluchte leise vor sich hin.
»Außerdem dieses ganze Arrangement – ich weiß nicht. Annas Brüste hätte der Hansi vielleicht haben wollen, weil er Anna liebt – aber die von dem anderen Mädchen auch? Und der Täter hat ja nicht die Brüste mitgenommen, sondern einen Zeh. Was bedeutet die Sache mit dem Apfel? Warum hätte Hansi das tun sollen?«
Nachtigalls Handy klingelte.
»Kommen Sie bald rein?«, fragte ein Kollege.
»Ja. Warum?«
»Ich hab hier zwei Leute, die unbedingt mit euch sprechen wollen. Es geht um diesen Schuh. Sie wollen eine Aussage machen.«
»Gut. Setzt sie in den Flur, wir sind gleich da.«
Er schob das kleine Telefon wieder in die Jackentasche.
»Wir haben zwei tote Mädchen in nur fünf Tagen! Unsere Tatverdächtigen haben entweder Alibis oder aber es gibt nicht genügend Hinweise auf eine Verstrickung! Ich komme mir vor wie ein Tanzbär. So, als versucht uns jemand an der Nase herumzuführen!«
Nachtigalls Handy klingelte erneut.
»Hoffentlich nicht schon wieder dieses Pflegeheim!«
»Ja, Nachtigall«, meldete er sich dann und lauschte der männlichen Stimme am anderen Ende. Skorubski sah, wie sich das Gesicht seines Partners rötete.
»Wollen Sie mir drohen?«, fragte er böse und wartete die Antwort gar nicht ab. »Wenn Sie Informationen wollen, wenden Sie sich an die Pressestelle!«, aufgebracht stopfte er das Telefon in die Jacke zurück.
Albrecht Skorubski sah ihn fragend an, während er den Wagen parkte.
»Boulevardpresse.« Nachtigall spuckte das Wort förmlich auf den Parkplatz und warf dann mit einem lauten Knall die Beifahrertür zu.
»Der hat mir doch tatsächlich damit
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