Racheakt
Stirn Nachtigalls war ihm auch nicht entgangen.
»Nee – nicht wirklich. Jule will sich heut mit irgendeinem Freund treffen, in die Disco gehen und dann bei dem Typen übernachten.«
»Und, kennst du ihn?«
»Nein. Welcher Vater kennt heute schon den Freund seiner Tochter?«
»Mehr weißt du nicht? Nur, dass sie ihn kennt und mit ihm in die Disco gehen will?«
»Na, ja. Ein bisschen mehr ist es schon. Er kommt aus Berlin. Sie hat ihn wohl mal auf irgendeiner Bahnfahrt zur Shoppingtour kennen gelernt. Und offensichtlich haben sie sich seither öfter mal getroffen! Wer weiß, wie lange das schon geht! Und ich habe nichts geahnt!«, wütend schlug Nachtigall sich auf die Oberschenkel.
»Und jetzt besucht er Jule in Cottbus. Ist doch eigentlich ganz schön. Immerhin hat er sie nicht überredet, nach Berlin zu kommen. Und vielleicht lernst du ihn ja auch heute noch kennen – oder morgen zum Frühstück«, neckte Skorubski, lachte leise und klopfte dem Freund tröstend auf die Schulter.
»Meine wollte damals ihrem ersten Freund zuliebe die Schule schmeißen. Weil der Typ von der Sozialhilfe gelebt hat und sie das beeindruckend fand: Den ganzen Tag abchillen und auch noch dafür bezahlt werden. Da war meine Kleine erst fünfzehn. Sie war drei ganze Wochen nicht in der Schule – kannst du dich noch erinnern, was bei uns los war? Diskussionen, Tränen, Gezeter. Meine Frau hatte einen Nervenzusammenbruch – und dann erscheint das Gör eines morgens frisch geduscht zum Frühstück, schnappt sich ihren Rucksack, nickt uns freundlich zu und verschwindet in die Schule. Das Rumhängen wäre ihr auf die Dauer zu langweilig, meinte sie und das Thema wurde nie wieder gestreift. Meine Güte – das ist jetzt auch schon fast zehn Jahre her! Jetzt hat sie ihr Abitur, studiert in Hamburg und hat jede Menge Pläne.«
»Ja, ich erinnere mich. Deine Frau hatte das Ganze übel mitgenommen.«
»Sie hatte noch monatelang daran zu knabbern.«
»Der Typ von Jule muss so eine Art Yuppie sein. Er kommt aus beruflichen Gründen her und wohnt im Radisson. Stell dir das mal vor!«
»Vielleicht ist er ja ganz nett und arbeitet nur bei einer Firma, die es sich leisten kann ihre Mitarbeiter feudal unterzubringen. Versicherung vielleicht oder Bank.«
»Meine Jule in ihrem bunten Punkeroutfit neben einem Anzugträger aus ’ner Bank in der Disco? Das passt doch nicht zusammen.« Nachtigall fühlte sich plötzlich restlos überfordert.
Sicher, dachte er, es war das Schicksal der Eltern »verlassen« zu werden. Erst war Birgit aus seinem Leben verschwunden, nun würde eben auch Jule ihr eigenes Leben beginnen. Und er, Hauptkommissar Peter Nachtigall, müsste allein zurückbleiben. Klar, er wollte seine Jule beschützen vor dem Bösen der Welt, vor Liebeskummer, vor fremden Männern, aber, das wusste er nun aus seiner alltäglichen Berufserfahrung, genau das war eben nicht möglich.
»Ist doch klar, dass du dir Sorgen machst – aber glaub mir – das Mädchen ist nicht dumm. Sie ist die Tochter eines Hauptkommissars und wird sich die Leute genau ansehen, mit denen sie ausgeht. Deine Jule übernachtet doch nicht wahllos bei jedem!«, versuchte Albrecht Skorubski seinem Freund Mut zu machen. »Außerdem wird sie sich bei Problemen doch sicher an deine Schwester wenden. Die beiden kommen doch gut klar miteinander.«
»Wer weiß, wie lange sie den Kerl schon kennt! Aber gerade jetzt.«
»He! Es gibt immer ein gerade jetzt«, philosophierte Skorubski.
»Zum Beispiel: Gerade jetzt, wo uns die Kollegen aus Berlin im Rahmen der übergreifenden Zusammenarbeit einen außerordentlich fähigen Mann zur Verfügung gestellt haben. Sein Name ist Emile Couvier und er wird eine OFA-Gruppe leiten. Brandenburgs OFA-Fachmann arbeitet gerade an zwei anderen Fällen und Berlin war sofort bereit uns zu unterstützen.« Dr. März knüpfte nun nahtlos an die aufgeschnappten Worte an.
»Sie haben jemanden zur Fallanalyse angefordert?«
»Ja. Er ist Fachmann für operative Fallanalysen. Das bedeutet, er wird sich die Tatortfotos ansehen und die Orte besuchen, die Akten lesen und dann versuchen gemeinsam mit Ihrem Team zu analysieren, wie die Morde durchgeführt wurden. Das gibt uns neue Erkenntnisse über die Persönlichkeit des Täters. Sie beide, Herr Wiener und natürlich Dr. Pankratz, nehmen an der OFA-Gruppe teil.« Danach wünschte der Staatsanwalt allen noch einen schönen Abend und das Gespräch war beendet.
»Das LKA schickt uns einen
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