Racheakt
Profiler! So einen wie die Typen aus Quantico, na, wie heißt der denn noch gleich … der hat doch auch ein Buch darüber geschrieben…« Nachtigall suchte vergeblich in seinem Gedächtnis nach dem Namen.
»Douglas. Ressler und Douglas«, half Skorubski aus.
»Ja, genau. Douglas und Olshaker. In dem Buch berichten sie sogar über Täterprofile, die sie nur anhand von Fotos am Telefon gemacht haben. Da können wir uns ja auf morgen freuen.« Er grinste breit. »Was für ein Name – französisch, oder?«
Skorubski erhob sich und zog seine Jacke an.
»Ich fahre noch mal schnell mit dem Foto des Opfers zum UCI. Vielleicht hat sie ja da einer gesehen und dann ins Stuck.«
»Gut. Ich bleibe noch und versuche Dr. Pankratz zu erreichen, damit er weiß, dass er an diesen OFA-Gruppengesprächen auch teilnimmt. Hoffentlich bekommt das Mädchen bald einen Namen!«
Sie verabschiedeten sich und Skorubski fuhr ohne große Hoffnung zum Großkino im neu eingemeindeten Stadtteil Groß Gaglow.
29
Nachtigalls Handy klingelte, als er mit seinem Wagen gerade in die Straße zu seinem Reihenhaus in Sielow einbiegen wollte, und er warf einen genervten Blick auf das Display. Schon wieder ein unbekannter Teilnehmer, bestimmt das Pflegeheim!
Na – wenigstens nicht die Zentrale. Nur nicht schon wieder eine Leiche! Er sehnte sich nach einem ruhigen Abendessen mit einem guten Glas Wein und heute war ihm wirklich nicht mehr danach, an irgendeinem Tatort frierend herumzustapfen und in tote Augen sehen zu müssen. Nein, heute nicht!
Er nahm das Gespräch in dem sicheren Gefühl an, der Abend würde von nun an einen sehr ungemütlichen Verlauf nehmen, und brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass die Stimme, die sich meldete nichts mit Tante Erna oder einem neuen Todesfall zu tun hatte.
»Ja, Frau Dr. Jung. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Abend Herr Nachtigall. Ich – nun, ich glaube, ich hätte Ihnen gegenüber etwas freundlicher sein können. Und jetzt rufe ich an, um mich zu entschuldigen. Sie tun ja schließlich auch nur Ihre Arbeit.«
»Vielleicht können Sie das ja bei unserem nächsten Gespräch wettmachen«, bot Nachtigall großzügig an.
Warum rief sie ihn um diese Zeit an? Nur um sich zu entschuldigen – oder wollte sie ihn einfach nur »anzapfen«?
»Ja, vielleicht«, antwortete sie zögerlich.
Eine Pause entstand. Peter Nachtigall wartete.
»Ich dachte eigentlich, ich könnte Sie vielleicht für meine leichte Kratzbürstigkeit mit einer Einladung zum Abendessen entschädigen. Kennen Sie das ›Roma‹ in der Marktstraße? Um 19:30 Uhr? Ich könnte Ihnen auch noch weitere Informationen über die triebdämpfende Therapie von Herrn Grabert mitbringen. Einverstanden?«, sprudelte sie plötzlich über, wie eine geschüttelte Champagnerflasche nach dem Öffnen.
»Und von mir hätten Sie gerne Informationen über die laufenden Ermittlungen?« Er war froh, dass Frau Dr. Jung sein Grinsen nicht sehen konnte.
»Na, ja – nicht mehr als Sie mir erzählen dürfen«, beeilte sich die Therapeutin zu versichern.
Der Hauptkommissar überlegte kurz. Entweder kochte er für sich allein, oder er würde ohne viel Aufwand ein köstliches Essen genießen können, dazu könnten sich aus dem Gespräch mit Frau Dr. Jung tatsächlich neue Aspekte ergeben. Vielleicht war sie überhaupt eine interessante Gesprächspartnerin – schließlich musste er ja nichts preisgeben, was er nicht wollte und letztlich auch nicht durfte. Kurz entschlossen sagte er zu, setzte den Blinker und nutzte die nächste Querstraße zum Wenden. Zeit zum Umziehen hatte er nicht mehr.
Eine halbe Stunde später saß er ihr im Roma gegenüber. Sie war praktisch nicht geschminkt, fiel ihm auf, nur ein bisschen Wimperntusche, kein Lippenstift, die Haare wirr, eine Strähne fiel immer wieder über ihre Stirn. Die voluminöse Kleidung verbarg ihre Figur komplett, doch Peter Nachtigall hatte den Eindruck, dass sie athletisch gebaut war. Sie schien überhaupt nur wenig Aufwand zu betreiben, um sich zu stylen. Natur pur um ihre Sportlichkeit zu betonen? War sie eine von den starken Frauen, die sich nicht als »Mogelpackung« geben wollten? Peter Nachtigall war sich da nicht sicher. Auf ihn wirkte sie trotz ihrer Größe irgendwie verletzlich – das liegt an ihren Augen, dachte er, diesen dunklen, tiefgründigen Augen und schalt sich einen Romantiker.
»Sie wollen sich also hier mit mir treffen, um mich über den Stand der Ermittlungen auszuhorchen?«,
Weitere Kostenlose Bücher