Racheakt
Hauptkommissar an – wie es ihm schien – voller Anklage.
»Was hat er mit ihren Augen gemacht?«
»Ich weiß nicht. Dr. Pankratz wird das bei der Obduktion klären können«, antwortete Skorubski.
»Was kann ich klären?«
Die hagere Gestalt des Gerichtsmediziners kam aus dem Unterholz auf sie zu.
»Die Augen.«
»Tja. Säure oder Lauge. Ich tippe auf Lauge. Er hat ihr die Flüssigkeit direkt in die Augen geträufelt. Die Haut im Augenbereich ist kaum in Mitleidenschaft gezogen worden.«
»Aha.«
»Ich nehme an, es handelt sich um denselben Täter. Wahrscheinlich hat er auch dasselbe Messer verwendet. Und wieder hat er sein Opfer niedergeschlagen. Sehen Sie?«
Er wies auf eine große Verletzung an der Schläfe.
»Die Auszackungen am Wundrand im Amputationsbereich sehen denen ähnlich, die wir schon kennen.«
Wieder fuhr der behandschuhte Finger in Richtung des toten Körpers und deutete die schwungvollen Bewegungen eines imaginären Messers an.
»Ich würde fast sagen: Es gibt keinen Zweifel.«
Mit diesen Worten schob er das Moos von ihrem linken Fuß und legte die Lücke zwischen den Zehen frei.
»Scheiße!«, fluchte Skorubski.
»Vielleicht – vielleicht aber auch nicht«, stellte Dr. Pankratz kryptisch fest.
Nachtigall starrte ihn entgeistert an.
»Na, ja. Wenn es nicht derselbe Täter wäre, würde das bedeuten, dass ihr zwei von der Sorte finden müsst. Da ist es doch besser zu wissen, es gibt nur einen von dem Kaliber, oder?«
»Unser Profiler schon da?«
»Ja. Er schnüffelt wie ein Hund über den Waldboden und versucht Witterung aufzunehmen. Hoffentlich ergibt sich bald was Konkretes.« Michael Wiener klang allerdings nicht so, als glaube er, seine Hoffnung könne sich bald erfüllen.
»So. Ich nehme sie jetzt mit. Obduktion mache ich sofort und den ersten Bericht habt ihr auch noch heute.«
Er winkte zwei Männer heran, die unauffällig etwas abseits gewartet hatten. Sie brachten einen Leichensack und den Zinksarg.
»Ruft mich an, falls ihr heute noch ein Meeting habt. Ich komme gerne dazu.«
»Wer hat die Tote gefunden?« Peter Nachtigall hörte selbst, dass seine Stimme zu laut war. Vielleicht um sich und den anderen das Gefühl zu geben, er wisse, was nun zu tun sei. Doch, gestand er sich zögerlich ein, genau davon war er Lichtjahre entfernt. Schlimmer noch, er hatte fast den Eindruck dazu verdammt zu sein, diesem kaltblütigen Mörder zusehen zu müssen, ohne ihn an seinen Gräueltaten hindern zu können.
Skorubski winkte einen jungen Mann im Laufdress heran.
»Dieser Jogger hat sie gefunden.«
Aufmunternd nickte Nachtigall dem Freizeitsportler zu.
»Ja. Jörg Thalheim. Ich trainiere hier jeden Abend. Ist meine Strecke. Und als ich vorhin meinen Schuh neu binden musste, habe ich bemerkt, dass da in dem Dickicht etwas verändert war. Gestern war dieser Hügel definitiv noch nicht da. Also habe ich rübergeleuchtet. Und als ich noch immer nichts erkennen konnte, habe ich eben nachgesehen.«
»Wann genau war das?«
»Kurz vor halb fünf. Aber es war schon stockdunkel.«
»Aber angefasst haben Sie nichts, oder?«
»Ich sehe auch ab und an fern. Ich habe die 112 verständigt.«
Kennen Sie die junge Frau, wollte Peter Nachtigall fragen, doch er ließ es sein. Niemand konnte da noch etwas erkennen.
»Ist Ihnen jemand im Park aufgefallen, der sich irgendwie seltsam benommen hat – oder auffällig?«
»Nein«, antwortete Jörg Thalheim und runzelte nachdenklich die Stirn: »Ich habe nur eine Frau allein durch den Park gehen sehen. Fand ich mutig. Ansonsten nur ein paar ganz normale Luftschnapper.«
Mutig oder leichtsinnig, überlegte Nachtigall. Es klang falsch in seinen Ohren, wie der junge Mann von dieser Frau sprach. Dieser Schlächter verändert unsere Gewohnheiten und Sichtweisen, dachte er wütend, wir finden es schon wieder bemerkenswert, wenn Frauen allein unterwegs sind! Wie zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts!
»Ist es nicht gefährlich im Dunkeln zu joggen?«
»Och – ich kenne hier jeden Stein, jede Wurzel, jedes Loch. Und meine Stirnlampe beleuchtet den Weg vor meinen Füßen völlig ausreichend, sodass ich ein unerwartetes Hindernis wahrscheinlich entdecken würde, bevor ich darüber stürze.«
»Woran haben Sie eigentlich gesehen, dass die Frau unter dem Busch nicht mehr lebt?«
Jörg Thalheim machte eine unbestimmte Geste, die seinen Körper umfasste und keuchte:
»Na, das ist vielleicht eine Frage.«
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Wieder hatte eine dieser
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