Rachedurst
etwas wie ein Kichern.
Die Bedingung war einfach und konnte nicht sinnvoller sein. »Diesmal wähle ich das Restaurant aus.«
22
Kurz vor Mittag betrat ich drei Straßenblocks von meiner Wohnung entfernt Jimmy D’s Pub. Jeder Autor, der was auf sich hält, nutzt als zweites Zuhause eine Bar um die Ecke. Das habe ich in Pete Hamills Memoiren gelesen, also muss es stimmen.
Ein paar Türen vor meiner Bar gab ich einem Bettler einen Dollar. Er hieß Reuben, war obdachlos und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar. Ich habe mir angewöhnt, morgens das Haus mit zehn Eindollarscheinen zu verlassen. Diese verteile ich auf der Straße, bis sie aufgebraucht sind. Mein Vater tat dasselbe mit fünf Scheinchen, wenn wir zu Besuch in New York waren. Für ihn war es keine große Sache, genauso wenig wie heute für mich.
»Hey, Nick«, rief Jimmy hinter der Bar, als ich mir einen Hocker zurechtrückte. Es war nicht das Gleiche wie der tosende Applaus, mit dem ein Fernsehshowmoderator empfangen wurde, doch ich fühlte mich genauso willkommen.
»Hey, Jimmy.«
Jimmy Dowd war der Inhaber und sein eigener Tageskellner. Beim Schnaps war er kleinlich, doch er zapfte ein sauberes Guinness. Wie seine Mixgetränke schmeckten, wusste ich nicht, weil ich nie eins bestellt, geschweige denn mir von ihm eins hatte zubereiten lassen. Jimmy D’s war ein Pub für diejenigen, die bei ihrem Schnaps nur eine Entscheidung treffen mussten: pur oder auf Eis.
Doch ich wollte mich von beidem fernhalten. Zumindest so lange, bis Dwayne Robinson zu unserem Treffen erscheinen würde.
Jimmy nickte, als ich ihm meine Zurückhaltung kundtat. Wir unterhielten uns ein paar Minuten über die bevorstehenden Spiele der Yankees gegen die Red Sox im Fenway-Stadion. »Wir gewinnen zwei von drei«, sagte er voraus. »Solange uns Big Papi nicht in die Quere kommt. Er schafft uns, auch wenn er mal nicht in Topform ist!«
Es gab viele Gründe, warum ich mich gerne im Jimmy D’s herumtrieb, und kein unbedeutender war Jimmy selbst. Er war ein Vietnam-Veteran, der ein bisschen Geld mit Aktien verdient und beschlossen hatte, sich seinen lebenslangen Traum von einer eigenen Bar zu erfüllen. Auch die Tatsache, dass er mir vor drei Jahren das Leben gerettet hatte, spielte eine Rolle. Doch diese Geschichte sollte ich ein andermal erzählen.
Jetzt ging es um Dwayne Robinson. Ich blickte auf meine Uhr – er sollte jeden Moment eintreffen. Da Jimmy, geboren in der Bronx, die gleiche Leidenschaft für die Bombers zeigte wie ich, erzählte ich ihm, auf wen ich wartete.
»Echt?« Er warf den Kopf mit überraschtem Blick nach hinten und fasste das Gefühl einer ganzen Stadt in sechs Worten zusammen: »Er hat mir das Herz gebrochen.«
Wir überlegten, welche seiner Spiele uns am besten gefallen hatten. Da die Auswahl groß war, verlor ich rasch das Gefühl für die Zeit.
»Wann hätte er hier sein sollen?«, fragte Jimmy schließlich mit Blick auf seine Uhr.
»Um zwölf«, antwortete ich und sah ebenfalls nach, wie spät es war.
Scheiße! Halb eins. Das kam mir bekannt vor.
Ich griff nach meinem Telefon und wählte Robinsons Privatnummer. Nach dem sechsten Klingeln wollte ich wieder auflegen, als ich das Piepsen eines eingehenden Anrufs hörte.
Ich drückte die Makeltaste, um das Gespräch anzunehmen, ohne auf die angezeigte Rufnummer zu achten. Ich vermutete, dass es Dwayne war.
Es war Courtney.
Ich verzichtete auf ein »Hallo« und kam, angetrieben von meinem Frust wie von einem Bulldozer, gleich zur Sache. »Er ist nicht gekommen«, schimpfte ich. »Dwayne Robinson hat mich schon wieder verarscht.«
»Ich weiß«, entgegnete Courtney.
Ich weiß?
»Sitzt du in der Nähe eines Fernsehers?«, fragte sie.
Ich bedeutete Jimmy, den Fernseher einzuschalten.
»Welcher Sender?«, fragte ich zurück.
»Kannst du dir aussuchen. Ich gucke ESPN.«
Mehr sagte sie nicht.
23
»ESPN!«, rief ich Jimmy zu.
Er schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher ein, und nur wenige Sekunden später sank all meine Energie in die Bodendielen. Ein Reporter versperrte fast die gesamte Sicht auf die Szene hinter sich. Ich sah nur einen Polizeiwagen und ein paar Menschen im Hintergrund.
Doch am unteren Rand des Bildschirms wurde es in deutlicher Schrift verkündet: Dwayne Robinson ist tot.
Der Reporter quasselte weiter, doch ich hatte das Gefühl, taub zu sein. Jimmy sagte etwas zu mir, ohne dass ich seine Worte verarbeiten konnte, weil ich schockiert und völlig betäubt auf den
Weitere Kostenlose Bücher