Rachedurst
noch heftiger zu weinen. Sie wusste, was er meinte.
»Ja, ganz recht. Du kennst meinen Namen. Du weißt, wie ich aussehe«, füsterte er. »Also kannst du dein letztes Mal in der Kiste ruhig genießen.«
27
Bei Dwayne Robinsons unsäglich trauriger Beerdigung regnete es so heftig, dass ein Baseballspiel mit Sicherheit verschoben worden wäre. Es gab keinen Gottesdienst. Stattdessen hatten wir uns auf dem weitläufigen Woodlawn Cemetery in der Bronx, wo sich auch die letzten Ruhestätten unter anderem von Joseph Pulitzer, Miles Davis und Fiorello LaGuardia befanden, mit einem nicht konfessionsgebundenen Geistlichen um Dwaynes Grab versammelt.
Nur wenige waren gekommen, wenn auch mehr, als ich erwartet hatte, darunter einige seiner früheren Mannschaftskollegen – ehemalige Yankee-Spieler und meine früheren Helden. An jedem anderen Tag wäre ich bei ihrem Anblick ausgerastet.
Doch an diesem Tag war alles anders.
Auch Dwaynes Exfrau war gekommen. Die ehemalige Miss Delaware, die den Baseballspieler in der gleichen Woche verlassen hatte, in der er gesperrt worden war, hatte ihre Kinder mitgebracht, die beide schon über zehn Jahre alt sein mussten. Ich erinnerte mich, gelesen zu haben, dass sie während der Scheidung das alleinige Sorgerecht beantragt und nach Dwaynes schwachem Widerstand auch erhalten hatte. Für einen Mann, der es nicht gewohnt war, am Schlagmal zu verlieren, hatte er nach seinem Abschied jedoch genau gewusst, wann er sich geschlagen geben musste.
»Lasst uns beten«, sagte der Geistliche vor Dwaynes Mahagonisarg.
Ich hielt mich, leicht geduckt unterm Regenschirm wie alle
anderen auch, im Hintergrund. Es kam mir eigenartig vor, hier zu sein. Genau genommen war ich Dwayne nur einmal begegnet. Andererseits war ich einer der letzten Menschen, mit denen er gesprochen hatte.
Wer weiß, vielleicht sogar der allerletzte.
Mit Sicherheit hatte niemand der hier Anwesenden in letzter Zeit mit ihm gesprochen. Nach der Trauerfeier wurde nur noch über den »Mann, den ich früher gekannt habe« geredet. Ich hatte den Eindruck, der Mensch, der sich angeblich vom Balkon seiner Hochhauswohnung in den Tod gestürzt hatte, war jedem auf dieser Beerdigung völlig fremd gewesen.
»Es war, als hätte er zu leben aufgehört, nachdem er fürs Spiel gesperrt wurde«, hörte ich jemanden sagen.
Jetzt war sein Leben endgültig vorbei.
Noch nicht endgültig waren die Autopsieergebnisse, doch in dem Medienrummel nach Dwaynes Tod war durchgesickert, dass er dem toxikologischen Bericht zufolge eine große Menge Heroin genommen hatte. Eine astronomisch hohe Menge. Das konnte erklären, warum er keinen Abschiedsbrief hinterlassen hatte.
Damit hätten wir vielleicht ein Rätsel weniger gehabt.
Ein anderes blieb ungelöst.
Was, zum Teufel, hatte Dwayne mir erzählen wollen?
Komischerweise fühlte ich mich, als würde auch ich eine Art Geheimnis bewahren. Courtney war der einzige Mensch außer mir, der wusste, dass mich Dwayne an dem Abend, als er starb, angerufen hatte.
Doch wie es mit Geheimnissen manchmal so ist, gehörte meins zu den unbedeutenderen. Dwayne hatte ein sehr viel größeres mit ins Grab genommen.
Ich ging zu meinem Wagen zurück, einem alten Saab 9000 Turbo – mein »Ausdruck von Extravaganz«, wenn man es so
nennen konnte, in einer Stadt, die von U-Bahnen, Taxis und Fußgängerüberwegen beherrscht wurde.
Als ich meinen Schirm zuklappte und mich hinters Lenkrad schob, ging ich in Gedanken die letzte Unterhaltung mit Dwayne noch einmal durch. Übersah ich etwas? Ging mir ein wichtiger Anhaltspunkt durch die Lappen?
Doch mir fiel einfach nichts ein. Oder vielleicht war mein Gedächtnis ein schlechter Ersatz für meinen Kassettenrekorder. Was hätte ich nicht für eine Aufnahme vom letzten Telefonat mit ihm gegeben.
Ich wollte gerade den Schlüssel im Zündschloss umdrehen, als mein Telefon klingelte.
Ich blickte auf die angezeigte Rufnummer.
Nun gehöre ich nicht zu den Menschen, die glauben, es gäbe keine Zufälle, doch der Zeitpunkt machte es schwer, noch an einen Zufall zu glauben. Mir wurde ganz unheimlich.
Als Anrufer wurde »Lombardo’s Steakhouse« angezeigt.
28
»Hallo, ich möchte zu Tiffany«, sagte ich zu dem Mann, der im Lombardo’s hinter dem Reservierungsbuch stand. Ich glaubte ihn zu kennen, doch ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mir sicher war.
Natürlich. Er war der Restaurantleiter. Detective Ford hatte ihn an dem Tag, an dem hier die Morde passiert waren,
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