Rachedurst
können, mich auf der Upper East Side von Manhattan zu befinden.
Ein Unterschied waren vielleicht die verfügbaren Parkplätze. Ich fand einen keine zwanzig Meter von Phalens Haustür entfernt.
Als ich nach meiner Umhängetasche griff und ausstieg, erinnerte ich mich an einen Witz, den mir mein Onkel Leo einmal erzählt hatte. Ich war neun oder zehn Jahre alt gewesen.
»Wie spannt man einen Truthahn auf die Folter?«, fragte er.
»Ich weiß nicht. Wie?«
Onkel Leo lächelte. »Das erzähle ich dir später, Truthahn.«
Ich konnte es kaum erwarten zu hören, was Phalen mir erzählen wollte. Im Eiltempo marschierte ich auf die Haustür zu. Auf der ersten Stufe allerdings hielt ich inne.
Hatte ich den Wagen abgeschlossen?
Ich erinnerte mich nicht.
Ich griff in meine Tasche und tastete mit dem Daumen auf dem elektronischen Schlüssel nach dem Knopf. Ich drückte und wartete, doch die Rücklichter meines Saab blinkten nicht auf.
Ich drückte noch einmal.
Fehlanzeige.
Leise fuchend ging ich zurück. Vielleicht stand der Wagen außer Reichweite. Nun hatte ich den Schlüssel aus der Tasche gezogen und zielte direkt auf den Wagen. Mittlerweile war ich eindeutig nah genug.
Die Rücklichter blinkten immer noch nicht.
Jetzt komm schon!
Ich schüttelte den Schlüssel und drückte noch ein paarmal kräftig auf den Knopf. Hatte die kleine Batterie im Schlüssel den Geist aufgegeben? Nein, hatte sie nicht. Vielmehr war beabsichtigt, dass ich mich von meinem Geist verabschiedete. Weil mein Wagen mit einem ohrenbetäubenden Wumm! in die Luft fog.
64
Mein Wagen erhob sich gut einen Meter hoch in die Luft, während ein orangefarbener Feuerball auf mich zuraste und mich mit einer solchen Wucht niederwarf, dass ich für ein paar Sekunden ohnmächtig wurde.
Als ich wieder zu mir kam, dröhnte der Lärm der Explosion immer noch in meinen Ohren. Glas zersprang, Metall verbog sich, und mein Wagen zerbarst in tausend Stücke.
Langsam erhob ich mich, doch die Hitze der Flammen war so stark, dass ich zurückwich. Alles in Ordnung mit mir? Bin ich schwerer verletzt, als ich glaube? Befinde ich mich noch unter den Lebenden?
Mit einem Blick auf meine angesengte Kleidung waren meine Fragen zum Teil beantwortet. Rauch stieg von meinem Sweatshirt auf. Ich war benommen und hatte Todesangst, doch vor allem war ich erleichtert, dass ich noch lebte.
Okay, Nick. Mit dir ist alles in Ordnung.
Eine andere furchtbare Szene kündigte sich an. Mir stockte das Blut in den Adern, als ich jemanden lauthals kreischen hörte.
Ich schaute mich hektisch nach allen Seiten um, bis ich einen braunen Labrador entdeckte, der auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig eine Leine hinter sich herzog. Er drehte sich im Kreis und bellte wie ein Wahnsinniger.
Dann sah ich, warum.
Ich stürzte über die Straße, riss mir mein Sweatshirt vom Leib und setzte zum Sprung an.
Der Hundebesitzer, ein Junge im College-Alter, lag brennend
und in Todesangst schreiend auf dem Boden. Ich landete mit dem Sweatshirt voraus auf ihm. »Helfen Sie mir!«, fehte er. »Bitte, helfen Sie mir!«
Ich bedeckte den Jungen mit meinem Körper und meinem Sweatshirt, doch die Flammen waren hartnäckig. Allein schaffte ich es nicht.
Wusch! Eiskalter, weißer Schaum ergoss sich über meinen Körper wie eine Lawine. Länger hätte die Hilfe nicht auf sich warten lassen dürfen.
Ich hustete und spuckte, bekam kaum Luft. Jemand hatte einen Feuerlöscher besorgt, den er offenbar vollständig auf uns entleerte. Das war ganz gut so. Vor allem für den Jungen unter mir, weil er nicht mehr brannte.
»Mit dir so weit alles in Ordnung?«, fragte ich, als ich von ihm herunterrollte.
»Ich weiß nicht«, brachte er heraus.
Mittlerweile waren die Bewohner der umliegenden Häuser auf die Straße geeilt. Sie hatten nur eine Explosion gehört, ohne zu verstehen, was passiert war. Ich allerdings wusste Bescheid, und dieses Wissen ließ mein Blut in den Adern gefrieren.
Jemand hatte gerade versucht mich zu töten.
Ein Mann half mir auf die Füße. »Sind Sie verletzt?«, fragte er. »Geht’s Ihnen gut, Mister?«
Ich hörte die Frage, antwortete aber nicht darauf. Ich blickte mich um, suchte die besorgten, verängstigten Gesichter ab. Mit jedem Gesicht, das ich nicht erkannte, wuchs meine Panik. »Oh, nein!«, rief ich plötzlich. »Oh, Gott, nein!«
Ich rannte so schnell los, wie es meine weichen Knie zuließen.
Als hinge das Leben eines Menschen davon ab.
65
Ich war der Spinner auf der
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