Rachedurst
Gedanken genau diese Worte, als ich mich meldete.
»Elizabeth? Ist alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortete sie.
Mehr brauchte ich nicht zu hören. Ein Wort von meiner Nichte, dem vierzehnjährigen Mädchen mit den Sommersprossen, das ich zum ersten Mal in meinen Armen gehalten hatte, als es zwei Tage alt gewesen war.
Ein Wort.
Da stimmte etwas nicht. Elizabeth hatte nie mit Worten gegeizt. Das Mädchen war eine totale Quasselstrippe. »Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Nein.«
»Was ist los, Schatz? Ist was mit deiner Mutter? Was ist passiert?«
»Kann ich zu dir in die Stadt kommen?«
Ich wusste oder spürte zumindest, dass sie die Tränen zurückhielt. Ihre Stimme schnappte über. Zitterte sogar.
»Elizabeth, was ist passiert?«, wiederholte ich.
Ich drückte das Telefon fest gegen mein Ohr, während ich Sorren und Keller anblickte. Sie hatten dem, was ich sagte,
keine Aufmerksamkeit geschenkt, sondern sich unterhalten. Bis jetzt. Denn jetzt starrten mich beide an. Wer?, formte Sorren mit den Lippen.
»Ich hatte einen heftigen Streit mit Mama, und jetzt bin ich richtig sauer«, erklärte Elizabeth. »Ich muss mit dir reden. Du bist der Einzige, mit dem ich reden kann.«
Ein Streit mit ihrer Mutter? Das lag durchaus im Bereich des Möglichen. Elizabeth war eine pubertierende Jugendliche, und ihre Mutter war … na ja, ihre Mutter. Normalerweise waren die beiden gute Freundinnen, doch auch gute Freundinnen streiten sich.
Warum nahm ich ihr also nichts von dem ab, was sie sagte? Wahrscheinlich, weil Elizabeth nicht wie … Elizabeth klang.
»Wo bist du jetzt?«, fragte ich.
»Ich bin abgehauen, weil ich so wütend war«, antwortete sie. »Können wir uns in der Stadt treffen? Bitte, Onkel Nick.«
»Wir machen es folgendermaßen, Schatz. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich wahrscheinlich Ja gesagt, aber jetzt passt es überhaupt nicht. Ich kann dir keine Einzelheiten erzählen, aber vielleicht hörst du es später in den Nachrichten.« Ich machte eine Pause, um meinen nächsten Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Aber vielleicht hast du bereits gehört, was mir heute passiert ist. Ist das so?«
Elizabeth schwieg einige Sekunden. »Nein, darüber habe ich nichts gehört«, antwortete sie.
Entscheidend allerdings war, was sie nicht sagte – sie fragte nicht, was mir passiert war.
»Ich denke, du solltest nach Hause gehen und die Sache mit deiner Mutter regeln«, versuchte ich sie zu überzeugen. »Worüber ihr auch immer gestritten habt, ich bin sicher, ihr beide bekommt das auf die Reihe.«
»Nein, werden wir nicht«, widersprach sie unnachgiebig. »Sie wird es Papa erzählen, und ich habe Angst, was passieren wird, wenn er nach Hause kommt.«
Jetzt weinte sie bitterlich, und ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, weil ich mich beinahe übergeben musste. Elizabeth war nicht allein, dessen war ich mir sicher. Wie zur Bestätigung hörte ich ein Geräusch. Jemand nahm ihr das Telefon weg.
»Du hast wirklich eine schlaue Nichte, Nick. Aber wir wissen doch, dass ihr Papa tot ist«, sagte jemand. »Und wenn du nicht in einer Stunde allein zur Grand Central Station kommst, wird dieses kleine Mädchen auch tot sein. Und denk daran, Nick, ich habe keinen Grund, ihr was anzutun. Sie hat ja nichts gesehen.«
92
Ich spürte, wie sich das Blut seinen Weg durch die Pfaster auf meiner Stirn und meinem Arm bahnte, als ich kaum eine Stunde später die Grand Central Station betrat. Doch mich nähen zu lassen war das Letzte, was ich brauchte. Ich brauchte Elizabeth wohlbehalten zurück. Nichts zählte mehr. Wie denn auch?
Über mir prangte die riesige Anzeige mit den Ankunftszeiten der Züge. Horden von Menschen blieben davor stehen.
Ich nicht. Ich schielte nicht einmal nach oben, während ich rasch weiterging. Diese Tafel konnte mir nichts verraten, was ich nicht schon wusste.
Ein nicht identifizierter Mann mit einer nicht identifizierten Jugendlichen im Schlepptau hatte den Vorortzug der Metro-North-Linie um 17:04 Uhr von Westport in Connecticut entführt. Statt Geiseln zu nehmen hatte er alle gehen lassen.
Außer dem Mädchen und dem Zugführer … Meine Gedanken hatten sich überschlagen. Meine Güte, was für einen Plan verfolgt er? Was sagt mir das über Bruno Torenzi?
Dies waren die Hauptpunkte des vorläufigen Berichts der örtlichen Polizei in Westport, der Partnerstadt von Weston, wo Kate und Elizabeth wohnten. Das Einzige, was man Agent Keller am Telefon sagen
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