Rachedurst
Schlafsack lagen auf dem Boden. Sie erwiderte seinen Blick, und ihre Miene fragte: »Was?«
»Ich fahr dich zum groÃen Ranchhaus, ja?«, wollte er wissen.
»Mhm.«
»Und da sind dann noch andere Mädchen?«
»Ein paar.«
»Und wir fahren zum groÃen Ranchhaus und nicht zum Haus ihres Vaters, weil sie dort wohnt, ja?«
Sheridan nickte, als liefe ein Wettkampf, bei dem sie durch Reden Punkte verlieren würde.
»Ich bin nicht gerade begeistert von dieser Idee«, sagte Joe.
»Ich weiÃ.«
»Es war einer von Hanks Männern ⦠« Er brachte es nicht über die Lippen, zu sagen: der mich verprügelt hat .
»Ich weiÃ. Aber ich hab Julies Vater kein einziges Mal auf Onkel Arlens Seite der Ranch gesehen.«
Joe zuckte innerlich zusammen. Seine Tochter sollte nicht denken, er fürchtete sich vor Hank oder dessen Handlanger, und es ging ja auch gar nicht mehr nur um Angst. Er wusste, dass er dazu fähig wäre, gewalttätig zu werden, falls er Hank oder Bill Monroe wiedersehen sollte.
»Ich begreife noch immer nicht, warum du Julie nicht einfach zu uns zum Ãbernachten einladen konntest.«
»Weil sie mich und noch ein paar Mädchen eingeladen hat«, sagte Sheridan. »So läuft das.«
Joe seufzte. In letzter Zeit legte Sheridan auch ihm gegenüber vermehrt jene unnachgiebigen Verhaltensweisen an den Tag, mit denen Marybeth schon seit einem Jahr zu kämpfen hatte. Sie war verschwiegen, missmutig und oft sarkastisch. Was war aus der kleinen Plaudertasche geworden? Dem Kind, das jeden Gedanken in Worte fasste? Dem kleinen Mädchen, das in wilden WortsträuÃen einen fortlaufenden Kommentar zu ihrem Leben ablieferte? Joe musste zugeben, dass ihn ihre Launen gar nicht so sehr gestört hatten, als sie sich noch gegen ihre Mutter richteten. Doch nun, da auch er davon betroffen war, gefiel ihm das gar nicht. Er hatte stets ein besonderes Verhältnis zu seiner älteren Tochter gehabt und glaubte, dass dieses Verhältnis tief im Innern auch weiterhin existierte. Es galt, dieses Pubertätsding so gut es ging zu überstehen. Beim Elternabend neulich hatte Sheridans Englischlehrerin, Mrs. Gilbert, ihn und Marybeth gefragt, ob sie etwas Schlimmeres wüssten als Achtklässlerinnen. Sie hatten die Achseln gezuckt, und Mrs. Gilbert hatte gesagt: »Es gibt nichts Schlimmeres.«
***
»Und Arlen ist die ganze Zeit in der Nähe, ja?«, fragte Joe nach.
Sheridan verdrehte die Augen â so flüchtig, dass es ihm entgangen wäre, hätte er nicht darauf geachtet. »Ja. Und jede Menge Angestellte. Von Onkel Wyatt ganz zu schweigen.«
»Vielleicht hättest du den wirklich nicht erwähnen sollen.« Joe hatte Mühe, nicht ungehalten zu klingen. »Er scheint mir ein ziemlich seltsamer Bursche zu sein.«
»Ich geh ihm aus dem Weg«, gab Sheridan zurück. »Das tu ich immer.«
»Was ist mit Julies Mutter?« Joe hatte gehört, Hanks Ex-Frau wohnte in einer kleinen Hütte auf dem Ranchgelände, um weiter Umgang mit ihrer Tochter zu haben.
»Keine Ahnung. Die ist vermutlich auch da.«
»Sheridan«, fragte Joe gereizt, »was weiÃt du denn?«
Das führte dazu, dass sie von nun an erst recht keinen Ton mehr sagte.
»Entschuldige.« Joe fuhr weiter. Marybeth hatte zwar genügend Informationen aus ihr herausgeholt, um ihr Einverständnis zu geben, doch auch er wollte über die Details Bescheid wissen.
Auf einmal stotterte der Motor, und die Kontrolllampe blinkte auf. »Was ist mit dem Wagen los?«, fragte Sheridan.
»Eine Schrottkarre ist das«, erwiderte Joe.
***
Das Haupthaus der Ranch war ein plump wirkendes Schloss aus Stein mit spitzen Giebeln und Dachvorsprüngen, das nicht an einen Fluss in Wyoming zu gehören schien, sondern auf ein Landgut in England. Hoch aufragende, hundert Jahre alte Pyramidenpappeln, die erst in den letzten Tagen ergrünt waren, umgaben es von allen Seiten. Joe näherte sich dem Haus aus östlicher Richtung auf einer gewalzten und geschotterten Zufahrt, die zwischen den gewaltigen Bäumen hindurchführte. Hinter den Bäumen befanden sich mehrere Nebengebäude: alte Schuppen, eine groÃe, ziemlich verfallene Scheune, ein alter Eiskeller.
Als sie einen Bach querten, den die Schneeschmelze enorm hatte ansteigen und reiÃend werden lassen, erblickte Joe ein wenig versteckt neben der StraÃe
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