Rachedurst
nach oben nehmen. Ich wollte für Bill und mich ein paar belegte Brote machen und dabei ein wenig übers Geschäft reden. Magst du auch eins?«
»Nein, danke.«
»Gute Nacht.« Arlen trat beiseite, während sie sich um den Tresen schlängelte und Richtung Tür ging.
»Nacht«, gab sie zurück und kam Bill Monroe im Vorbeigehen nahe genug, um Tabakrauch, Staub und billiges, süÃliches Kölnischwasser an ihm zu riechen.
»Es war mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen«, rief er ihr halblaut nach.
Als sie die Treppe hinaufging, blickte sie sich um und bemerkte, dass er sie aufmerksam beobachtete. Dabei hatte er den Ansatz eines Lächelns auf den Lippen, und sie hatte einen Moment lang das Gefühl, einen elektrischen Schlag bekommen zu haben.
***
Als Sheridan erwachte, hörte sie Julie noch immer neben sich schlummern und ganz leise schnarchen. Sie hatte furchtbar geträumt, als sie endlich eingeschlafen war. In einem wilden Traum hatte Bill Monroe vor ihrem Haus auf dem Rasen gestanden und sie und Lucy im Schlaf durchs Fenster beobachtet.
In einem anderen Traum war Sheridan noch einmal im Dunkeln auf den Flur und ans Fenster gegangen und hatte die Vorhänge einen Spalt weit geöffnet. Durch die fernen Bäume schimmerte ein gelbes Viereck: das Licht aus Wyatts Hühnerstall.
Sie hatte das Fernglas an die Augen gesetzt und auf das Viereck gerichtet. Dann war etwas oder jemand in der Hütte am Fenster vorbeigegangen und hatte das Licht abgeschirmt wie ein Finger, den man vor einer Kerzenflamme hin- und herbewegt. Und als die Person wieder ein wenig vom Fenster wegtrat, erkannte sie das leicht lächelnde Gesicht einer Frau, deren Miene mitten im Gespräch erstarrte.
Es war Opal Scarlett.
15. KAPITEL
Am nächsten Morgen arbeitete sich J. W. Keeley noch vor Tagesanbruch in der kalten Höhenluft einen steinigen Hang an der Westseite des Wolf Mountain hinauf. Er schleppte zwei Eimer Wasser, das er aus einem Bach geschöpft hatte. Er ging vorsichtig, denn die Sohlen seiner Docs rutschten im taunassen Gras, und achtete darauf, dass ihm kein Wasser auf die Hosenbeine schwappte.
Als er seinen Pick-up erreichte, setzte er die Eimer auf den Boden und rieb sich die Hände, um den Druckschmerz der Henkel loszuwerden. Es würde noch etwas dauern, bis die Sonne hinter dem Berg aufstieg und er gut genug sehen konnte, um seine Arbeit zu beenden.
Er stützte sich auf die Motorhaube und sah durchs Fernglas. Zwei Kilometer entfernt waren das Haus, die Garage, die kleine Scheune und ein blaues Laternenlicht. Als der Himmel etwas heller wurde, war auch der weiÃe Palisadenzaun um den Vorgarten herum zu erkennen. Das Gelände hinter dem Haus lag noch immer im Schatten und war nur zu erahnen, doch er wusste, dass sich dort ein steiler Hügel und ein schroffes Trockental aus rotem Stein befanden.
Drinnen im Haus schlief die Familie. Bis auf die älteste Tochter natürlich. Die war noch auf der Thunderhead Ranch.
Keeley setzte das Fernglas ab und wischte mit dem Handschuhrücken den Rotz weg, der ihm aus der Nase lief. An diese Kälte würde er sich nie gewöhnen. Selbst wenn es schon fast Sommer war, wenn das Gras in die Höhe schoss und die Bäume dicke Knospen ansetzten, fiel die Temperatur nachts meist noch unter den Gefrierpunkt. Sicher, wenn die Sonne erst einmal aufgegangen war, wurde es schnell warm, und alles heizte sich so rasch und unverhofft intensiv auf, dass es ihm manchmal fast den Atem nahm und er das Gefühl hatte, zwischen ihm und der Sonne befände sich nichts mehr, um die Hitze und das Licht zu dämpfen. Luft zum Beispiel.
Wenn es zu dem kleinen Bach unten am Hang nur nicht so weit wäre! Er würde noch mehrere Male mit den Eimern hinabsteigen müssen. Er hatte eine Sauerei zu beseitigen. Die Ladefläche seines Pick-ups war nass und klebrig von Blut und Haarbüscheln.
***
Nicht zum ersten Mal seit der Ankunft in den Bighorns dachte er an den Cowboy, den er im Shirley Basin erschossen hatte. Wenn er sich jenen Morgen ins Gedächtnis rief, schüttelte er den Kopf und sah zu Boden â nicht aus Reue, sondern weil er so waghalsig gehandelt hatte, ja, so leichtfertig ein Risiko eingegangen war. Dann lächelte er und vergewisserte sich, dass niemand die rohe, düstere Freude bemerkte, die ihn durchströmte und die er bisher erst einmal im Leben verspürt hatte: damals bei dem Jäger aus
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