Rachedurst
Gesicht wich. Hank wurde wütend. Normalerweise kam jetzt jemand angeflitzt und fragte, was er brauche. Schluss damit, dachte Keeley. Schluss mit Hank und seinen Launen.
»Seitdem Sie hier sind, fragen Sie mich über ihn aus«, sagte Hank. »Das tun Sie recht unauffällig und geschickt. Sie wollen nie zu viel auf einmal wissen und haben sich den anderen Jungs gegenüber nicht verraten. Aber mir ist das von Anfang an aufgefallen. Sie haben mich dazu gebracht, von den Miller-Wieseln zu erzählen und davon, was oben im Lager der Souveränen passiert ist. Sie haben mich gefragt, wo der Jagdaufseher wohnt, wie viele Kinder er hat, wie seine Frau so ist und wo sie arbeitet. Glauben Sie nicht, ich hätte das nicht bemerkt, Bill. Sie sind von dem Kerl besessen.«
Keeley schwieg. Hank war tatsächlich schlauer als angenommen.
»Da hing dieses Miller-Wiesel an Picketts Haustür«, fuhr Hank fort. »Und dann die Sache mit den Wapitiköpfen â das hat mir nicht gefallen. Es hat mich an das erinnert, was diese Turbanträger im Mittleren Osten tun. AuÃerdem mag ich Wapitis. Und jetzt soll jemand eine Kugel durch das Panoramafenster der Picketts gejagt haben.« Er sah Keeley aus kohlschwarzen Augen an. »Das geht zu weit, finde ich. Dort leben Kinder! Ich habe gehört, die Familie ist daraufhin ausgezogen. Darum frage ich Sie«, Hank beugte sich vor, »was zur Hölle stimmt nicht mit Ihnen? Warum hassen Sie Joe Pickett so? Ich bin mir sicher: Hätte ich Sie damals hinter Stockmanâs Bar nicht gestoppt, hätten Sie ihn totgeprügelt.«
»Mit mir ist nichts faul«, verwahrte sich Keeley und spürte, wie der Zorn in seiner Brust anschwoll.
Joe Pickett war alles, was ihm geblieben war. Nach fünf Jahren im Gefängnis war er gezwungen gewesen zu fliehen, nachdem sie sein Jagdlager durchsucht hatten, um die Leichen des Paars aus Atlanta zu finden. Das einzig Wertvolle, was er noch besaÃ, war sein glühender Hass.
Wie er es hasste, von irgendwem beurteilt zu werden!
Dann begriff er, worauf Hank abzielte: Er wollte ihn feuern. Aber daraus würde nichts. Noch nicht.
»Die Leute halten mich für einen hasserfüllten Menschen«, sagte Hank und schenkte sich nach. »Aber das bin ich nicht. Das bin ich einfach nicht. Nicht wie Sie. Ich hasse nicht mal Arlen. Er hasst mich, und meine Verteidigung wirkt auf einige eben wie Hass. Niemand war je so gemein, so schäbig wie mein Bruder Arlen. Wo andere Gefühle haben, hat er ein Loch. Das habe ich immer gewusst, weil ich es aus nächster Nähe erfahren habe, als wir noch klein waren. Nach auÃen wirkt er immer verdammt gut, so verdammt gut. Wie ich ihn dafür bewundere, wie er herumtanzen und Hände schütteln und sich geben kann, als würden die Leute ihn interessieren. Aber das tun sie nicht. Ihn interessiert nur Arlen. Das ist sein Lieblingsthema â und sein Einziges. Er hasst mich, weil ich weiÃ, wie er wirklich ist. Habe ich Ihnen je erzählt, wie er meinem Hund die Kniesehnen durchtrennt hat? Als ich sechs Jahre alt war und er zehn? Er hat es abgestritten, doch er ist es gewesen. Ich hab das Tier geliebt und es erschieÃen müssen.«
Keeley war sprachlos. Er hatte Hank noch nie so viel reden hören. Warum öffnete er sich ihm so? Begriff er nicht, mit wem er sprach? Merkte er nicht, dass sein Gegenüber nicht ihm ähnelte, sondern Arlen? Dass Hank damit nicht Sympathie, Verbundenheit, Verständnis heraufbeschwor, sondern Keeley ihm nur zuhörte, um eine Schwachstelle aufzutun, die er angreifen konnte?
Hank ist eben doch nicht so schlau, dachte er.
»Mutter hat es gewusst, hätte es aber niemals zugegeben«, fuhr Hank fort. »Sie wollte sich nicht eingestehen, dass ihr Ãltester ein Soziopath ist. Sie wollte nicht, dass die Stadt oder irgendwer es erfährt. Deshalb ist sie dort im Ranchhaus geblieben: um ein Auge auf ihn zu haben. Und ich denke, er hat sie genau deshalb beseitigt.«
Keeley goss sich Bourbon nach. Das wurde ja immer besser.
»Darum hat Mutter bei Meade Davis dieses Testament anfertigen lassen, in dem sie mir die Ranch vererbt, falls ihr etwas zustöÃt«, setzte Hank hinzu. »Sie hat mir davon erzählt, die Sache aber vor Arlen geheim gehalten. Doch dann ist er in das Anwaltsbüro eingebrochen und hat herausgefunden, was wirklich im Testament stand.«
Hank sah auf, und seine Augen blitzten vor Wut
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