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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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gewesen, aber der ist ja leider tot. Wenn ich Sie wäre, würde ich den ersten Flieger nach Brüssel nehmen, aus dem Rampenlicht verschwinden und mich eine Weile ruhig verhalten.«
    »Sie sind heute schon der zweite, der mir das rät«, antwortete Strazdas. »Aber ich bleibe da, bis der Job erledigt ist.«
    Rainey lehnte sich in seinem Sessel vor. »Bis welcher Job erledigt ist?«
    Bevor Strazdas antworten konnte, hob der Anwalt eine Hand und sagte: »Nein, erzählen Sie es mir lieber nicht.«
    Er griff in seine Tasche und zog eine kleine Glasampulle mit einem weißen Puder hervor. Mit einem Kettchen war ein kleines Silberlöffelchen daran befestigt.
    »Hätten Sie was dagegen?«, fragte er. »Beruhigt die Nerven.«
    Strazdas leckte sich die Lippen und schnupperte. »Nicht im Geringsten«, sagte er.

TEIL 2
HERKUS

30
    Herkus holte eintausend Pfund aus dem Safe, der unter der Spüle in seiner Wohnung versteckt war. Dann machte er sich auf den Weg in den Osten der Stadt.
    Er wusste sie zwar zu kontrollieren, hatte aber immer noch eine Riesenwut im Bauch. Wut auf Arturas, weil der keine Vernunft annehmen und verschwinden wollte. Wut auf diese Hure, weil sie Tomas die Kehle durchgeschnitten hatte. Und Wut auf diese hirnverbrannten Brüder, weil sie das Ganze zugelassen hatten.
    Die Mawhinneys gehörten zur Fußtruppe einer Splittergruppe unter den Loyalisten, die von Rodney Crozier angeführt wurde. Crozier war zwar immer noch in schlechtem Zustand, nachdem er vor über einem Jahr von einem Rivalen niedergestochen worden war, aber trotzdem schaffte er es, seine Leute fest im Zaum zu halten. Herkus bezweifelte jedoch, dass der Mordversuch an ihm von Crozier oder einem derer, die seinen Laden am Laufen hielten, während er aus dem Verkehr gezogen war, gebilligt worden war. Männer wie Crozier kannten den Unterschied zwischen Geschäft und einem persönlichen Rachefeldzug. Wenn der Auftrag von ihm gekommen wäre, hätte er jemanden geschickt, der sein Handwerk verstand.
    Und Herkus wäre jetzt tot.
    Bei der Vorstellung wurde Herkus der Mund trocken. Vor zwanzig, zehn oder gar noch fünf Jahren hatte der Gedanke an den Tod ihm kein Kopfzerbrechen bereitet. Da war er noch jung, starkund mutig gewesen. Vielleicht sogar tollkühn. Wenn das Leben vorbei sein sollte, dann würde auch das eben nur wieder ein Abenteuer sein, so als träte man über den Rand der Welt.
    Aber dann bemerkte er allmählich die Falten in seinem Gesicht und dass sein muskulöser Körper langsam immer weicher und schlaffer wurde. Dass ihm manchmal beim Treppensteigen die Knie wehtaten und es ihm auf die Puste ging.
    Eines Nachts träumte er dann von Agne, seiner Frau, die er in Litauen zurückgelassen hatte. Und als er aufwachte, war seine Kehle rau und heiser vor lauter Schreien. Sie beide hatten nicht lange nach seiner Entlassung aus der Armee geheiratet und eine Wohnung in Wilna gemietet. Von morgens bis abends sprach sie nur von Kindern, immer ging es um Babys, wie sie sie nennen würde, und ob es wohl Jungen oder Mädchen sein würden, bis er ihn gar nicht mehr richtig hochbrachte. Jedes Mal, wenn er sie bestieg, jedes Mal, wenn er merkte, dass er gleich kommen würde, sah er in ihren Augen diesen abwesenden Blick, weil sie nur an das Kind dachte, das er ihr schenken würde. Dann machte er einen Rückzieher, kläglich zusammengeschrumpft, und sie weinte, als sei das Kind totgeboren.
    Am Tag, bevor er die Maschine nach Brüssel bestieg, redeten sie über ihr neues gemeinsames Leben, weit weg von der Trostlosigkeit ihres eigenen Landes. Er versprach ihr, dass er ihr, sobald er genügend Geld verdient hatte, ein Ticket schicken würde. Ein alter Freund hatte ihm erzählt, der Geschäftsmann Strazdas könne ihnen einen Neuanfang in Belgien ermöglichen.
    Um zu feiern, füllten sie einen Korb mit Wein, Bier und leckerem Essen, fuhren aus der Stadt hinaus und in die Wälder am Fluss Neris. Eine Woche vorher hatte er am dunklen Ufer zwischen den Bäumen ein Loch ausgehoben. Sie starb in stiller Ergebenheit und schrie nicht einmal auf, als er zum ersten Mal zuschlug. Vermutlich hatte sie von Anfang an gewusst, dass es einmal so enden würde.
    Anfangs hatte Belfast ihm gefallen, aber inzwischen ging die Stadt ihm auf die Nerven. Der Regen, die Engstirnigkeit und die gottverdammte, aufgeblasene Selbstgefälligkeit seiner Bewohner, die ihren belanglosen kleinen Krieg für wichtiger hielten als jeden anderen. Aus dem Auto heraus verfluchte er die Einwohner

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