Racheengel
ihm ein Knie in den Magen. Noch einmal brüllte Herkus auf.
»Sag mir, woher er mein Gesicht kennt.«
»Das Bild«, stieß Herkus keuchend hervor.
»Dasselbe Bild? Was redest du da?«
Herkus wollte antworten, hoffte, mit seinem Wissen sein Leben zu retten, aber der Schmerz betäubte seine Sinne und raubte ihm die Sprache.
»Sag es mir«, wiederholte der Irre. Sein heißer Atem strich Herkus über das Gesicht.
Die Dunkelheit nahm zu. Mit aller Kraft versuchte Herkus, seine Zunge zu bewegen, seine Stimmbänder mit Luft zu versorgen, aber da war nur noch das Feuer, das von seinen Eingeweiden aus seinen ganzen Körper verschlang.
Und die Gesichter.
So viele Gesichter, und alle warteten sie auf ihn.
O Gott, flehte er. Die Worte blitzten in seinem Kopf auf wie Sterne am Himmel.
O Gott, vergib mir.
Im nächsten Moment durchbohrte etwas noch Grelleres seine Kehle, und da wusste er, es gab keine Vergebung. Nur Feuer.
64
Galya lag auf der Seite. Unter sich fühlte sie eine Hitze sich ausbreiten und roch den gleichen metallischen Geruch, der sie erst vor einem Tag überwältigt hatte. Sie wand sich, versuchte verzweifelt, von dem Blut wegzukriechen, aber der Stuhl hielt sie fest. Sie schob den Unterkiefer hin und her und drückte die Zunge heraus, bis ihr der Lappen aus dem Mund fiel.
Hinter sich hörte sie ein Geräusch, als würde sich etwas Spitzes in Fleisch bohren. Der eine Mann ächzte bei jedem Stoß, der andere keuchte gurgelnd, bis schließlich nur noch ein Winseln wie von einem Tier zu hören war.
Galya versuchte, sich nach vorn zu werfen. Wenn es ihr gelang, sich auf den Bauch zu drehen und dann auf die Knie zu kommen, konnte sie vielleicht wegkriechen. Der Stuhl wippte vor und wieder zurück. Noch einmal warf sie sich vor und versuchte gleichzeitig, mit den Schultern den Stuhl zu drehen. Wieder wippte er zurück.
Vor lauter Anstrengung kreischte sie auf. Diesmal gehorchte der Stuhl, und sie schlug mit den Knien auf den Beton. Sie unterdrückte einen Aufschrei und ruckelte weiter vor.
Etwas riss den Stuhl zurück.
»Du hast das gemacht«, fauchte er.
Er drehte den Stuhl um und verrenkte Galya dabei die Arme. Ihr Kopf schlug auf den Boden, sie sah Sterne. Sie hörte ihn weggehen und wiederkommen. Er keuchte rasselnd.
Plötzlich blitzte vor ihren Augen ein Licht auf. Sie drehte den Kopf weg.
»Sieh mich an«, knurrte er.
Wie fest sie auch die Augen zukniff, der Strahl der Lampe suchte sich seinen Weg unter ihre Lider.
Die glitschige Hand des Mannes schlug ihr auf die Wange. »Sieh mich an!«
Galya öffnete einen Spaltbreit die Augen und erkannte im blendenden Licht die verschwommenen Umrisse seines Mondgesichts.
»Du bist daran schuld. Du hast ihn hergeführt. Wegen dir musste ich ihn töten. Wegen dir ist alles zunichte. Wegen dir muss ich fliehen.«
Galya fielen nur wenige Wörter ein, und alle waren auf Russisch.
»Auf Englisch«, schnauzte er.
Sie wiederholte die Worte, die einzigen Laute, die für sie einen Sinn ergaben.
»Ich verstehe nicht, was du sagst.« Er schüttelte den Kopf. »Ist ja auch egal.«
Er richtete die blutige Spitze des Schraubenziehers auf sie.
»Der Herr hat dich in meine Hände gegeben. Und so werde ich Sein Werk vollenden. Ich habe es Ihm gelobt. Du aber wirst leiden für das, was du getan hast. Bitte um Vergebung für deine Seele, denn ich werde dir die Hölle nicht ersparen, die dich erwartet. Aber nicht hier. Hier bin ich nicht mehr sicher, und nur wegen dir.«
Sie hörte den Schraubenzieher auf den Boden fallen und spürte, wie die Drahtschere den Kabelbinder durchtrennte, der ihr linkes Handgelenk an den Stuhl fesselte.
Wieder sprach Galya. Und wieder sprach sie die einzigen Worte, die sie herausbrachte.
»Bitte, Mama«, flehte sie, »bring mich nach Hause.«
65
Seine Glock 17 im Anschlag tastete Lennon sich durch die düstere Küche vor. Glassplitter knirschten unter seinen Schuhen. Sein Atem dampfte, weil die Hauswärme durch den leeren Fensterrahmen entwichen war.
Als er die Diele betrat, bewegte sich vor ihm ein dünner Lichtstrahl. Lennon erstarrte, stützte mit der linken Hand die rechte ab und spannte den Finger am Abzug.
Hinter einer Tür sah er eine Holztreppe, die in den Keller führte. Schatten tanzten in der Öffnung wie Dämonen, die um Seelen rangen. Lennon erreichte die oberste Stufe und sah, dass in dem dunklen Loch der Strahl einer Taschenlampe hin und her glitt.
Eine tiefe, heisere Stimme drang an sein Ohr. Lennon verstand von dem
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