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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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Lennon.
    Sie sagte weiter Sätze auf, haspelte sie ohne Unterlass herunter, bis er nicht einmal mehr erkannte, wo ein Gebet aufhörte und das nächste begann. Die Stimme wurde immer schriller, unterbrochen nur von verzweifelten Schluchzern.
    Lennon packte sie am Handgelenk. »Was sagen Sie denn da?«
    Keuchend starrte sie hoch, als sei sie gerade aus einem Albtraum erwacht. Im ersten Moment kam es ihm vor, als würde er Ellen sehen, wie sie aus ihren nächtlichen Schreckensträumen hochschrak.
    Das Mädchen blinzelte ihn an und sagte: »Bitte, Sir, ich will nach Hause.«

68
    Strazdas saß nun schon so lange zusammengesunken auf dem Fußboden, den Rücken an das Sofa gelehnt, dass er jedes Zeitgefühl verloren hatte. Als das Telefon klingelte, ruckte sein Kopf hoch. Er beschloss, es erst einmal zu ignorieren. Stattdessen konzentrierte er sich auf den großen Flachbildschirm in seiner Suite, der in dem abgedunkelten Raum so unnatürlich hell flimmerte, dass die grellen Farben ihm in die Netzhäute stachen.
    Offenbar handelte es sich um irgendeine alte Komödie mit zwei Männern, beide verlottert. Der eine war ein alter Winzling, der andere im mittleren Alter, machte aber auf jünger. Sie stritten sich in einem verwahrlosten Haus über die Weihnachtsdekoration.
    Was fanden die Leute hier daran eigentlich lustig ? An bemitleidenswerten Männern, die ein noch jämmerlicheres Leben führten? Fühlten sie sich wohler in ihrer Haut, wenn sie über solche armen Tröpfe lachen konnten, die noch unglücklicher waren als sie selbst?
    Der Ältere auf der Mattscheibe keifte herum, der Jüngere schaute mürrisch drein und nannte den anderen grummelnd einen dreckigen alten Sack.
    Strazdas lachte, wusste aber selbst nicht, warum.
    Das Telefon hörte auf zu klingeln. Erst jetzt, wo der Lärm aufhörte, bemerkte Strazdas den Schmerz, der sich in seinem Kopf eingenistet hatte.
    Was hatte er eigentlich die ganze Zeit gemacht, seit er hier saß?
    Ach ja. Getrunken.
    Vor einer Stunde hatte er sich aus der Minibar eine Flasche Wein geholt. Je mehr diese verdammte Stadt in der Dunkelheit versank und sich draußen eine schwere Stille auf die immer leerer werdende Straße legte, desto mehr flatterten ihm die Nerven. Plötzlich war es so still, dass er beinahe meinte, sein eigenes Blut durch die Adern rauschen zu hören. Ein weniger normaler Mann als er hätte womöglich geglaubt, dass die Kälte und die Dunkelheit über die Luft heimlich ins Hotel eindrangen, die Treppe hinaufkrochen und sich in die Flure pirschten.
    Aber er war schließlich zurechnungsfähig und glaubte nicht an solche Sachen.
    Jedenfalls nicht wirklich.
    Noch mehr Kokain hatte ihm auch nicht geholfen, und allmählich vermutete er sogar, dass es vielleicht sogar der Grund für seine Rastlosigkeit war. Daher hatte er den eingebauten Kühlschrank geöffnet und sich eine Flasche Wein ausgesucht. Er hatte versucht, das Etikett zu lesen, aber die Aufschrift verschwamm ihm nur vor den Augen. Also drehte er den Schraubverschluss auf, setzte die Flasche an und trank.
    Arturas Strazdas trank nicht oft Alkohol, deshalb empfand er den Geschmack – oder besser gesagt das Gefühl, das die Flüssigkeit in seiner Kehle auslöste – nicht als besonders angenehm. Trotzdem machte er weiter.
    Dem Pochen hinter seiner Stirn nach zu urteilen, hatte er sich offenbar besoffen. Aber eine oder zwei Lines würden den Nebel schon lichten.
    Bei diesem Gedanken blieb ihm kurz das Herz stehen. Egal, unter den gegebenen Umständen war Koks die einzige vernünftige Medizin.
    Er stemmte sich auf den Ellbogen vom Sofa hoch. Im erstenMoment kam es ihm vor, als stünde der Raum in einem schiefen Winkel. Er streckte beide Arme aus, um das Gleichgewicht wiederzufinden.
    Auf der Glasplatte lag immer noch ein Rest weißes Puder, die bestäubte Schlüsselkarte seines Hotelzimmers und ein schon aufgerollter Fünfzig-Euro-Schein. Für eine Line reicht das locker, dachte er. Besser, er nahm nicht zu viel. Eine kleine Reserve hatte er noch im Tütchen, genug, um damit über den morgigen Tag zu kommen, wenn er sich zusammenriss. Morgen früh konnte Herkus ihm dann ja neuen Stoff besorgen.
    Herkus.
    War der es gewesen, der ihn da eben angerufen hatte? Hatte er die Hure gefunden?
    Zuerst die Line.
    Strazdas nahm die Karte zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann schob er sie auf dem Glas von hinten nach vorne, von links nach rechts und trieb das Pulver zusammen wie ein Hund eine Schafherde, bis er einen dünnen weißen

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