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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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Gebrummel nur ein paar Worte: »… dein Fehler … wirst leiden … alles zunichte … fliehen.«
    Neben dieser einen Stimme hörte er noch eine zweite, leisere, die eines Mädchens, die immer und immer wieder dasselbe wiederholte. Wörter, die Lennon nicht verstand.
    Er spähte in die Dunkelheit hinab und sah, dass der Strahl der Lampe eine junge Frau erfasst hatte, blutbefleckt und kaum bei Bewusstsein. Den Mann, der die Lampe hielt, konnte man in ihrem Lichtkegel nur erahnen. Hier oben, wo Lennon stand, war das Licht erheblich schwächer, aber es reichte, um den Schalter zu finden. Lennon stieß ihn mit dem Ellbogen an und zielte.
    »Polizei«, rief er. Mit aufgerissenen Augen starrte der Mann hoch, der offene Mund sah in seinem runden, flächigen Gesicht aus wie ein Loch.
    In einer Sekunde hatte Lennon die ganze Situation wahrgenommen. Die Leiche des Litauers, den er erst vor kurzem verhört hatte, die Blutlache auf dem Fußboden, die verstreuten Werkzeuge, das daliegende Mädchen, jämmerlich an einen umgekippten Stuhl gefesselt. Er streckte die Glock vor.
    »Edwin Paynter«, rief er, »treten Sie von dem Mädchen weg.«
    Als er seinen eigenen Namen hörte, riss Paynter die Augen noch weiter auf. Er machte einen Schritt zurück und zog den Stuhl und das Mädchen nach.
    »Bleiben Sie, wo Sie sind«, schrie er. Etwas Rotes lief über die Kehle des Mädchens.
    Im ersten Moment glaubte Lennon, Paynter trage einen glänzenden Handschuh. Erst als der Handschuh auf das Mädchen zu tropfen schien, erkannte er, dass das gar kein Handschuh war, sondern dass das Blut des Toten von Paynters Hand und dem Schraubenzieher troff, den er umklammert hielt.
    Er versuchte, die Glock auf Paynters Stirn zu richten, aber weder seine Hand noch der Wahnsinnige wollten still halten.
    »Lassen Sie das Mädchen los«, rief Lennon und machte einen Schritt nach unten.
    »Kommen Sie nicht runter«, warnte Paynter.
    »Doch, ich komme runter, Edwin«, entgegnete Lennon. »Ich komme runter und hole das Mädchen. Lassen Sie sie los, dann geschieht Ihnen nichts.«
    Der letzte Rest von Vernunft, den er noch im Hirn hatte, schrie Lennon an, hier zu verschwinden. Aber die Augen des Mädchens hatten ihn schon fixiert, und er wusste, dass er keine Wahl mehr hatte.
    »Haben Sie mich verstanden, Edwin? Treten Sie von ihr weg, dann verspreche ich, dass Ihnen nichts passiert.«
    Paynter lachte und tastete nach etwas neben der Leiche des Litauers.
    Lennons Reflexe begriffen die Situation früher als sein Verstand. Gerade noch rechtzeitig duckte er sich weg, da erschütterte auch schon ein Schuss den ganzen Keller. Dicht neben seinem Kopf zerbarst die Wand, roter Staub und Ziegelbrocken prasselten herab.
    Lennon verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber die Treppe hinunter. Seine Schultern, seine Ellbogen, seine Knie krachten im Fallen auf die Holzstufen, dann schlug er mit dem Kinn auf dem Betonboden auf. Er schmeckte Blut, und ihm wurde schwarz vor Augen.
    Für den Bruchteil eine Sekunde setzte die Welt aus, dann lag er auf dem Rücken und starrte auf eine nackte Glühbirne, beide Hände leer und von sich gestreckt. Eine breite Gestalt schob sich in sein Gesichtsfeld und ließ das schmerzhaft grelle Licht der Birne verschwinden. Ein Mondgesicht grinste auf ihn hinab.
    »Wann werdet ihr es endlich lernen?«, fragte Paynter.
    Lennon blinzelte zu ihm hoch. Sein eigenes Blut rann ihm in die Kehle, und er musste husten.
    Paynter hockte sich hin und drückte ihm die Mündung der Pistole auf die Stirn.
    »Du kannst mich nicht besiegen«, sagte er. »Denn ich habe den Herrn auf meiner Seite.«

66
    Edwin Paynter hatte noch nie eine Waffe in der Hand gehabt. Als er sie vom Fußboden hochriss, wusste er gar nicht, ob man einfach nur abdrücken musste oder ob es da irgendeinen Trick gab, den er nicht kannte. Es konnte ihm glatt passieren, dass er den Polizisten am Ende noch mit dem Ding bewerfen musste.
    Aber dann musste man tatsächlich einfach nur abdrücken. Der Rückstoß hatte ihm den Ellbogen und die Schulter gestaucht, und sein Arm zitterte. Dann kam das Pfeifen in den Ohren. Und außerdem wurde es in seiner Lende ganz heiß und ganz hart.
    Jetzt war ihm der Polizist ausgeliefert. Stupide blinzelte er ihn an, genau wie der Hund, den er als Teenager besessen hatte. Dieser Hund hatte ihn auch dann noch mit seiner dämlichen Ergebenheit angeglotzt, als er ihn seelenruhig so lange getreten hatte, bis die Augen sich trübten und ihm die blutrot sabbernde

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