Racheengel
Streifen beisammen hatte.
Nicht viel. Aber für den Augenblick genug.
Er nahm den Fünfzig-Euro-Schein, steckte ihn ins rechte Nasenlock, hielt sich das linke mit einem Finger zu und inhalierte die Line. Im nächsten Moment war da nur noch ewige, wundersame Schönheit, bis ans Ende aller Tage und noch darüber hinaus.
Dann hustete er, weil der eiskalte Rotz ihm in die Kehle lief. Sein Magen knurrte und zog sich zusammen, weil er seit gestern nichts gegessen hatte.
Vielleicht sollte er den Zimmerservice anrufen und sich …
Der Anruf.
Die Erinnerung holte ihn ein. Er griff nach seinem Handy, um nachzuschauen, wer ihn angerufen hatte. »Unbekannter Teilnehmer«, stand auf dem Display.
Warum rief sein Kontaktmann ihn ausgerechnet am Heiligabendan, um diese Zeit? Falls überhaupt noch Heiligabend war und sich die Zeiger des Weckers nicht schon über Mitternacht und in den nächsten Tag gequält hatten.
Wie zur Antwort klingelte das Handy. Noch mehr als der Lärm ließ ihn das Vibrieren in seiner Hand hochfahren. Er hob das Handy ans Ohr.
»Ja?«
»Ihr Fahrer ist tot«, sagte die Stimme.
Strazdas starrte aus dem Fenster auf die Straße hinab. Sein Kopf versuchte zu entwirren, was er da gerade gehört hatte.
»Was?«
»Ihr Fahrer. Der Mann, der durch ganz Belfast gestürmt ist und das Mädchen gesucht hat, das Sie unbedingt finden wollen.«
»Ja?«
»Der ist tot. Ist im Westen der Stadt in einem Keller umgebracht worden. Von irgendeinem Verrückten ausgeweidet, wie ich gehört habe.«
»Herkus?«
»Aber wir haben das Mädchen.«
Strazdas taumelte zum Sofa und setzte sich hin. »Das Mädchen«, wiederholte er.
»Die Kleine, die Sie gesucht haben. Man hat sie in die Notaufnahme gebracht. Aber zu gegebener Zeit wird sie in unseren Händen sein.«
»In Ihren Händen«, wiederholte Strazdas.
»Sagen Sie mal, geht es Ihnen gut? Verstehen Sie überhaupt, was ich Ihnen sage?«
Strazdas schob sich einen Fingerknöchel zwischen die Kiefer und biss hart zu. Der Schmerz stemmte sich der Verwirrung in seinem Kopf entgegen, schaffte es aber nicht, sie wegzuschieben. Er biss noch fester zu und spürte etwas Sehniges zwischen den Zähnen. Der Nebel lichtete sich. Strazdas atmete tief durch die Naseein und ließ seinen Knöchel los. Tiefrote Bissspuren auf der Haut. Er wischte sich die Hand an der Hüfte ab.
»Und Sie sind sich sicher, dass sie auch wirklich in Ihren Händen sein wird?«, fragte er.
»In Bälde«, antwortete die Stimme. »Im Augenblick wird sie noch behandelt, aber bald wird sie aus dem Krankenhaus entlassen. Irgendwo muss sie ja hin, und sämtliche Anlaufstellen, die sich um Leute wie sie kümmern, sind über die Feiertage geschlossen. Außerdem ist sie in mindestens einem Mordfall Zeugin und in einem anderen möglicherweise verdächtig. Sie landet nirgendwo anders als in meiner Dienststelle. Ich kümmere mich schon darum, was wir mit ihr anstellen. Keine Sorge.«
»Danke«, sagte Strazdas. »Im Namen meiner Mutter.«
»Eine Sache noch«, fuhr die Stimme fort. »Die Verbindung zwischen Ihnen und Ihrem Fahrer ist bekannt. Stellen Sie sich darauf ein, dass es Fragen geben wird. Es sei denn, Sie verlassen das Land.«
»Das Land verlassen?«
»Kehren Sie nach Brüssel zurück«, sagte die Stimme. »Einen Flug kriegen sie erst wieder am zweiten Weihnachtstag, aber wenn Sie über die Grenze kommen, kann Ihnen bis dahin nichts passieren.«
»Ich will dableiben«, erwiderte Strazdas. »Bis diese Hure erledigt ist. Vorher kann ich nicht nach Brüssel.«
»Warum nicht?«
Strazdas stellte sich die unbarmherzigen Augen und Hände seiner Mutter vor. »Ich kann nun mal nicht.«
»Na schön«, sagte die Stimme. »Ich werde mich so bald wie möglich um das Mädchen kümmern. Aber packen Sie schon mal Ihre Sachen, suchen Sie den Pass heraus, den sie am Flughafen benutzen wollen, und halten Sie sich abmarschbereit. Weihnachten verschafft Ihnen vielleicht noch einen Aufschub, aber danach werden Sie verhört, daran besteht kein Zweifel.«
»In Ordnung«, sagte Strazdas.
»Gut. Und nun zur Vergütung.«
»Zur was?«
»Der Bezahlung. Diese Sache hier geht weit über das hinaus, was von unserer Vereinbarung abgedeckt wird. Ich erwarte, angemessen entlohnt zu werden.«
»Keine Sorge«, sagte Strazdas, »das werden Sie. Aber eins müssen Sie mir noch verraten.«
»Was?«
»Wer ist dieser Verrückte?«, fragte Strazdas. »Der Mann, der Herkus umgebracht hat?«
69
Edwin Paynter hatte nicht den geringsten
Weitere Kostenlose Bücher