Rachegott: Thriller
vornherein war ihm bewusst gewesen, dass es nach seiner ersten Tat kein Zurück mehr geben würde.
Ich weiß, dass die Ermittler mir auf die Schliche kommen könnten. Aber ich nehme dieses Risiko auf mich. Entweder gewinne ich das Spiel oder ich wandere für einige Jahre hinter Gitter. Das sind zwar keine rosigen Aussichten, aber das Leben ist zu kurz, um immer auf der sicheren Seite zu stehen. Hin und wieder ist es erforderlich, ein Wagnis einzugehen. Sonst kommt man nicht vom Fleck. Dann wäre man für immer in seinem routinierten Dasein gefangen. Das möchte ich nicht. Es entspricht nicht meiner Vorstellung von einem ausgefüllten, spannenden Leben.
Er zog seine Pistole aus dem Gürtel und visierte ein Einfamilienhaus am nordöstlichen Stadtrand an. Dieses war zwar ziemlich groß, sah aber trotzdem idyllisch aus. Es lag an einem Bachlauf und wurde von hohen Brombeerbüschen umgeben. Einige Efeuranken verliehen dem Grundstück einen verwilderten Zug. Die Fassade des Hauses war in einem hellen Weiß angestrichen. Die Nachbarhäuser standen etwas weiter entfernt.
Der zweite Mord ist viel einfacher als der erste. Ich muss zugeben, dass ich während der ersten Tat kurzzeitig gezögert habe. Immerhin überschritt ich eine gewaltige Schwelle, als ich Gertrud Muster erschoss. Diese Schwelle habe ich nun aber hinter mir gelassen. Ob ich einen, zwei oder zehn Menschen töte, ist ab sofort nicht mehr von Belang. Zumindest nicht für mein persönliches Empfinden. Ich habe bereits das schlimmste aller Verbrechen begangen. Jetzt muss ich meinen Plan nur noch bis zum Ende durchziehen. Alles andere spielt keine Rolle mehr.
Er trat vor die Haustür und klingelte. Die Waffe hielt er ganz ruhig in der rechten Hand. Doch zu seiner Enttäuschung wurde die Tür nicht geöffnet. Dabei wusste er genau, dass sein zweites Opfer derzeit zuhause war. Die Frau musste da sein. Ähnlich wie Gertrud Muster hatte er sie wochenlang überprüft. Er kannte ihre Gewohnheiten. Er wusste, wann sie zum Einkaufen fuhr, wann sie Wäsche wusch und wann sie sich mit ihrem Kegelverein in der Innenstadt traf. Momentan müsste sie friedlich auf der Couch im Wohnzimmer liegen und ein Buch lesen. Dort hatte er sie um diese Zeit schon oft durch das Fenster beobachtet, nachdem er in ihren Garten eingedrungen war. Warum öffnete sie dann aber nicht die Tür? War sie womöglich eingeschlafen und hörte die Klingel deshalb nicht? Oder hatte sie einfach keine Lust, die Tür zu öffnen?
Ich hasse es, wenn ich meine Taten nicht so durchziehen kann, wie ich es beabsichtigt habe. Aus diesem Grund lege ich stets größten Wert darauf, dass meine Planung zu einhundert Prozent exakt ist! Trotzdem öffnet die Frau mir nicht die Tür! Das regt mich auf! Es macht mich fuchsteufelswild!
Er drückte ein weiteres Mal auf den Klingelknopf und wartete einige Sekunden. Doch er übte sich vergeblich in Geduld. Nach wie vor blieb die Haustür geschlossen. Da er nun schon seit über einer halben Minute vor der Tür stand, sah er sich hastig um. Zu seiner Beruhigung konnte er keine Person entdecken. Niemand näherte sich dem Haus.
Sie ist zuhause! Ich weiß es! Öffne mir gefälligst die Tür, du blöde Kuh!Natürlich könnte ein unerwarteter Notfall eingetreten sein. Vielleicht musste sie dringend zum Arzt. Oder ihrem Mann ist auf seinem täglichen Spaziergang etwas zugestoßen. Womöglich steckt auch eine gute Freundin in der Klemme und sie ist kurzerhand zu ihr gefahren. Wer weiß?
Der Mörder sah sich noch einmal um. Dann schritt er los. Er ging zur Hausecke und marschierte anschließend an dem Gebäude vorbei, um in den Garten zu gelangen. Als er das Küchenfenster erreichte, warf er einen schnellen Blick hindurch. Doch er konnte sein Opfer nicht sehen. Daher schritt er weiter, bis er an der hinteren Hausecke ankam. Während er vorsichtig um die Ecke schielte, lächelte er breit.
Dort ist sie! Sie sitzt auf der Terrasse, statt wie gewöhnlich im Wohnzimmer auf der Couch. Solche Menschen mag ich nicht besonders. Jemand, der von seinen Gewohnheiten abweicht, ist in meinen Augen ein merkwürdiger Typ.
Mit großen Schritten näherte er sich nun der Frau. Da sie mit dem Rücken zu ihm saß, konnte sie ihn nicht kommen sehen. Darüber hinaus hatte sie die Augen geschlossen und schien ein Nickerchen zu halten.
Also kann sie mich auch nicht hören. Perfekt!
Eigentlich wollte der Mörder ihr rasch die Pistole an den Hinterkopf pressen und abdrücken. Doch als er bemerkte, dass
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