Rachegott: Thriller
hingen an den Seiten herab. Der Kopf lag auf der linken Seite. In der Brust sah Nora ein Einschussloch. Als sie um die Leiche herumging, erkannte sie, dass die tödliche Kugel den Körper durchschlagen hatte und am Rücken wieder ausgetreten war. Dabei wurde auch die Plastiklehne des Stuhls zerfetzt.
„Haben Sie die Kugel schon gefunden?“, wandte Nora sich an Waldemar.
„Ja, sie lag dort.“ Der 35-Jährige zeigte auf ein Beet hinter der Terrasse. „Wir haben sie bereits eingetütet und beschriftet. Ich frage mich aber, wie der Mörder so nah an Frau Weishaupt herankommen konnte. Da die Kugel ihren Körper durchschlagen hat, muss er ziemlich dicht vor ihr gestanden haben. Wieso hat sie sich nicht gewehrt?“
„Wahrscheinlich war meine Frau eingenickt. Das passierte ihr in letzter Zeit häufig“, meldete sich eine schwache Männerstimme zu Wort. Die Ermittler blickten sich um und sahen einen älteren Mann vor der geöffneten Terrassentür stehen.
Lutz Weishaupt war 65 Jahre alt, hatte schneeweißes Haar und eine faltige Gesichtshaut. Allerdings war er körperlich noch einigermaßen in Form. Denn er trat schnellen Schrittes auf die Terrasse und warf seine Arme in die Luft. „Ach, Trude, das hast du nicht verdient! Ich wünschte, ich hätte das verhindern können! Wäre ich zum Zeitpunkt des Mordes doch nur hier gewesen! Ich hätte dem Mistkerl gezeigt, was eine Harke ist. Wie konnte er es wagen, dich zu erschießen? Auf unserer eigenen Terrasse? Am helllichten Tag!“
Als Lutz erkannte, dass Nora und Thomas ihn irritiert musterten, erklärte er: „Ich bin Lutz Weishaupt, Trudes Ehemann. Ja, ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber Trude hatte wohl schon immer ein Faible für ältere Männer. Das war ihre Natur. Vor fünf Jahren gaben wir einander das Ja-Wort. Wir waren davon überzeugt, gemeinsam alt und grau zu werden. Doch im Leben läuft nicht immer alles so, wie man es gerne hätte. Das brauche ich Ihnen sicherlich nicht zu erklären, oder?“
Nora schüttelte den Kopf. Sie musste an ihre eigenen privaten Probleme denken, die sich hauptsächlich um ihren Exmann Max und ihren ehemaligen Lebensgefährten Timo drehten. „Nein, leider brauchen Sie das tatsächlich nicht zu machen. Aber wir garantieren Ihnen, dass wir unsere ganze Kraft aufwenden werden, um so schnell wie möglich für Gerechtigkeit zu sorgen.“
„Das glaube ich Ihnen. Aber Gerechtigkeit ist zum einen ein dehnbarer Begriff und zum anderen nur ein schwacher Trost für einen solchen Verlust. Die Ermordung eines geliebten Menschen kann durch nichts wieder gutgemacht werden. Selbst wenn Sie mir garantieren könnten, dass Sie den Mörder für immer hinter Gitter bringen, werde ich ewig mit meinem Schmerz leben müssen. Es gibt in diesem Fall kein Heilmittel. Dennoch gebe ich zu, dass es mir eine gewisse Genugtuung und Beruhigung verschaffen würde, wenn Sie den Täter fassen.“
Thomas nickte. „Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir Ihnen einige Fragen stellen. Sehen Sie sich im Stande, diese jetzt schon zu beantworten, Herr Weishaupt? Wir würden natürlich verstehen, wenn Sie sich zunächst ein wenig Zeit für sich nehmen möchten.“
„Nein, das ist nicht nötig. Ganz im Gegenteil. Denn Sie wissen doch sicherlich, wer meine Frau ist, nicht wahr?“
„Ja, sie ist uns bekannt.“
„Haben Sie jemals einen ihrer Krimis gelesen?“
„Nein, bisher noch nicht.“
„In Trudes Geschichten spielt Zeit immer die wesentliche Rolle. Daher ist mir bewusst, dass Sie so schnell wie möglich an alle wichtigen Informationen gelangen müssen, um dem Täter auf die Spur zu kommen. Ich hoffe nur, dass Sie auch so intelligent sind wie Peter Frei, der Detektiv in Trudes Romanen.“ Er ließ eine kurze Pause eintreten. „Allerdings wäre es mir lieber, wenn wir die Befragung im Wohnzimmer durchführen könnten. Ich kann den Anblick nicht länger ertragen. Ich möchte Trude so in Erinnerung behalten, wie sie wirklich war: Ein aktiver, lebensfroher Mensch. Nicht so .“ Er deutete auf den Leichnam seiner Frau.
„Selbstverständlich. Das ist kein Problem.“
Lutz trat vor und führte die Kommissare durch die Terrassentür ins Wohnzimmer. Dieses umfasste dreißig Quadratmeter. Neben einer Couch stand lediglich eine Schrankwand mit diversen Büchern. Nora und Tommy sahen weder einen Fernseher noch ein Radio.
Die schlichte Lebensweise der älteren Generation ist beneidenswert.
Tommy brauchte einen Fernseher allein schon für die abendliche
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