Rachegott: Thriller
verständnislos den Kopf. Dann verließ er das Wohnzimmer, ohne sich von den Ermittlern zu verabschieden.
„Wenn ihr mich fragt, dann klingt die Geschichte mit dem Spaziergang trotz allem ziemlich platt“, stellte Dorm fest. „Glaubt ihr, der Kerl ist wirklich hierher gefahren, weil ihm die Umgebung besser gefällt? In der Nähe der Pächterstraße ist es meiner Meinung nach auch sehr schön.“
Nora stand von der Couch auf und nickte. „Das sehe ich auch so. Wir sollten diesen Hutmann auf jeden Fall überprüfen lassen. Da wir bisher aber nichts gegen ihn in der Hand haben, können wir vorläufig keine anderen Schritte unternehmen.“ Sie begab sich zu einem Regal an der Ostwand, in dem mehrere Fotoalben standen. Eines davon nahm sie in die Hand und öffnete es. Bereits nach wenigen Sekunden sagte sie: „Jetzt wissen wir wenigstens, wie Thorsten Junker aussieht. Der Geist hat endlich ein Gesicht. Das dürfte uns bei der Fahndung voranbringen.“
Ihre Kollegen kamen zu ihr und betrachteten zahlreiche Fotos, die allesamt denselben Mann an unterschiedlichen Orten zeigten. Er war eins neunzig groß, hatte eine kräftige Statur und wirkte auf den Bildern ausnahmslos glücklich. Die Kommissare konnten weder eine Frau noch ein Kind auf den Aufnahmen entdecken.
Gerade als Nora den Vorschlag unterbreiten wollte, die Nachbarn nach Junker zu befragen, stürmte ein Beamter der Spurensicherung in den Raum. Er hielt ein Polaroid in der Hand und rief: „Dieses Bild habe ich eben im Keller gefunden! Es befand sich in einer verschlossenen Kiste! Das sollten Sie sich unbedingt anschauen!“
Nora ging auf den Mann zu und nahm das Foto an sich. Auf diesem sah sie eine Frau mittleren Alters. Sie war blond, hatte viele Falten im Gesicht und trug ein rosarotes Kleid.
„Diese Frau kommt mir bekannt vor“, äußerte Nora. „Ich habe sie schon einmal gesehen. Aber momentan komme ich nicht darauf, wo oder wann das war.“
„Das ist Trude Weishaupt, die bekannte Kriminalschriftstellerin. Sie hat in den letzten Jahren über drei Millionen Romane verkauft“, sagte der Beamte der Spurensicherung.
Jetzt fiel es Nora wie Schuppen von den Augen. „Natürlich! Sie haben recht! Die Frau wohnt ebenfalls hier in Göttingen, nicht wahr?“
„Ja, und nun drehen Sie das Foto mal um.“
Nora kam der Aufforderung nach. Auf der Rückseite des Bildes standen einige Stichwörter mit blauer Tinte geschrieben: Weishaupt. Mord. Samstag. 18. August. 10 Uhr.
„Denkst du dasselbe wie ich, Tommy?“
„Und ob. Anscheinend will der Mörder auch noch Trude Weishaupt töten. Und zwar in …“ Er schaute auf die Uhr. Dann verbesserte er sich trübsinnig: „Und zwar vor einer Stunde.“
Als die Titelmelodie von Beverly Hills Cop durch den Raum schallte, fischte Tommy sein Handy aus der Tasche und trat zwei Schritte zur Seite. „Hallo, hier Korn?“
„Es geht wieder los“, hauchte sein Vorgesetzter. „Der ganze Mist geht wieder von vorne los. Es gibt einen weiteren Mord. Wir haben schon wieder zwei Mordopfer innerhalb eines Tages zu beklagen! Ich will verdammt sein, wenn das ein Zufall ist!“
„Handelt es sich bei dem Opfer um Trude Weishaupt?“
„Ja, woher wissen Sie das? Haben Sie bei diesem Junker einen Hinweis gefunden, der darauf schließen lässt?“
„Leider ja. Die beiden Morde hängen zusammen. Daran besteht kein Zweifel.“
„Schöne Scheiße. Aber dann wissen wir immerhin, wer der Täter ist. Anscheinend ist Junker völlig verzweifelt. Bestimmt hat er Trude Weishaupt ermordet, weil sie ebenfalls eine reiche, bekannte Frau war. Genauso wie Gertrud Muster. Eine andere Verbindung sehe ich zwischen den Opfern nämlich auf Anhieb nicht.“
„Glauben Sie, dass Junker in seinem Wahn nun eine stadtbekannte Frau nach der anderen ermorden will?“
„Ich habe keine Ahnung! Es ist Ihre Aufgabe, das herauszufinden! Also gehen Sie an die Arbeit! Trude Weishaupt wohnt im Friedrich-Rettig-Weg . Ich habe schon einige Kollegen losgeschickt. Machen Sie sich auf den Weg dorthin. Und dann finden Sie Junker, bevor er tatsächlich noch eine weitere Frau umbringen kann.“
„Alles klar, wir sind schon unterwegs.“
11
Als die Kommissare eine Viertelstunde später am Tatort beim Friedrich-Rettig-Weg eintrafen, erwartete sie eine negative Überraschung. Normalerweise riegelten ihre Kollegen jeden Tatort in einem ausreichenden Radius mit Absperrband ab. Doch in diesem Fall hatten sie aus einem unerfindlichen Grund darauf
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