Rachegott: Thriller
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21
Als Nora an diesem Abend gegen 21 Uhr auf ihrer Couch im Wohnzimmer saß, musste sie erneut an Max denken. Vor einer Stunde hatte sie sich noch einmal telefonisch im Krankenhaus nach seinem Gesundheitszustand erkundigt. Doch die Schwester am anderen Ende der Leitung hatte ihr noch immer keine positive Nachricht übermitteln können. Es wäre weiterhin nicht sicher, ob Max die Schusswunde überleben würde.
Ich hasse Max! Er hat mich so sehr enttäuscht und mir so viel Leid zugefügt! Aber ich könnte es nicht verkraften, wenn er durch meine Hand stirbt! Notwehr hin oder her! Mit dieser Last könnte ich nicht leben! Daher muss er die Wunde überstehen! Er muss wieder auf die Beine kommen! Auch wenn ich mir das nur aus einem egoistischen Antrieb heraus wünsche.
Wieder und wieder sah Nora die entscheidenden Sekunden vor ihrem geistigen Auge. Sie sah Max auf sich zustürmen. Sie hörte sich zu Boden fallen und spürte ihren Exmann auf sich liegen. Aber dann verblasste ihre Erinnerung aus heiterem Himmel. Zwar wusste sie noch ganz genau, dass sie ihre Pistole ergriffen hatte, doch war sie sich nicht mehr sicher, ob sich der Schuss tatsächlich nur aufgrund von Max’ Schlag auf ihre Schulter gelöst hatte. Hatte sie ihn womöglich doch vorsätzlich abgegeben? Hatte sie sich tief in ihrem Inneren gewünscht, ihn abzufeuern, um ihren Exmann endlich aus ihrem Leben zu verbannen? Um ihn für immer loszuwerden?
Nein, das kann nicht sein! Ich bin keine Mörderin! Ich hätte Max niemals anschießen können! Das wäre verrückt! Ich bin Polizistin! Ich sorge für Recht und Ordnung! Mit Max wäre ich schon noch anders fertig geworden! Garantiert!
Nora wusste, dass es ihre Schuldgefühle waren, die diese eindeutige Situation zu vernebeln versuchten. Eine innere Stimme redete ihr ein, dass sie den Schuss hatte abgeben wollen . Das entsprach jedoch nicht der Wahrheit. Sie benutzte ihre Waffe nur im äußersten Notfall. In den vergangenen zwölf Jahren hatte sie erst zweimal auf Menschen geschossen. Beide Male hatten die Kugeln ins Bein des jeweiligen Kriminellen getroffen.
Es ist undenkbar, dass ich Max töten wollte! Ich hatte mich bereits aus seinem Griff befreit. Also wäre ich auch unter seinem Körper hervorgekommen. Die Pistole sollte nur der Abschreckung dienen. Aber Max ließ sich davon nicht beeindrucken. Er schlug zu, ohne die möglichen Folgen zu bedenken.
Die Kommissarin stand von der Couch auf und schritt in die Küche, um sich ein Glas Apfelsaft einzuschütten. Dieses leerte sie anschließend in einem Zug. Dann wollte sie sich auf den Weg ins Schlafzimmer machen, als es auf einmal an der Haustür klingelte.
Wer besucht mich denn um diese Uhrzeit? Das kann eigentlich nur Tommy sein. Aber ich habe momentan keinen Nerv für ihn. Manchmal brauche ich meine Ruhe. Ich benötige eine Auszeit von dem ganzen Stress.
Obwohl sie in ihrer derzeitigen Verfassung keinen Besuch verkraften konnte, schritt sie nach kurzer Zeit zur Haustür. Ihr Pflichtbewusstsein und ihre Disziplin zwangen sie dazu. Womöglich wollte Tommy ihr eine wichtige Nachricht überbringen, die nicht bis morgen warten konnte.
Aber würde er mich dann nicht anrufen? Oder hat er das vielleicht gemacht, aber ich habe das Klingeln überhört?
Nora schleppte sich zur Tür und schaute durch die Scheibe nach draußen. Dort war jedoch niemand zu sehen. Weder Tommy noch sonst jemand. Es war absolut ruhig und friedlich.
Merkwürdig. Wer hat denn dann geklingelt?
Nachdem Nora einige Augenblicke lang gewartet hatte, griff sie zum Vorhang neben der Scheibe. Sie ging davon aus, dass einige Kinder ihr einen Streich spielten. Doch im selben Moment schoss plötzlich eine dunkle Gestalt hervor. Sie musste sich eng an die Hauswand gepresst haben, um nicht in Noras Blickwinkel zu geraten. Jetzt schlug sie aber blitzschnell zu. Mit einem Tritt ließ sie die Scheibe zersplittern und richtete anschließend eine Waffe auf die Ermittlerin.
Nora wollte noch zur Seite wirbeln, aber es war bereits zu spät. Die Gestalt zog ihren Zeigefinger durch. Ein Knall ertönte. Das Geschoss drang in Noras Bauch ein und ließ sie vor Schmerz aufschreien. Dann sank sie zu Boden. Sie rang nach Luft und schloss die Augen. Schließlich fiel sie in ein tiefes, schwarzes Loch.
Das Klingeln ihres Telefons konnte sie schon nicht mehr hören.
Als Thomas und Waldemar fünfzehn Minuten später bei Nora eintrafen, befanden sich dort bereits einige von Tommys Kollegen.
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