Racheherz - Roman
hervorgebracht.
Er ging in sein Büro zurück und rief Samantha an. »Nach reiflicher Überlegung wäre mir deine Saltimbocca doch lieber.«
»Was hat den Meinungsumschwung bewirkt?«
»Ich will dich nicht mit einer schnatternden Schar neidischer Männer teilen.«
»Was für eine schnatternde Schar?«
»Der Kellner, der Piccolo und jeder Mann im Restaurant, der das Glück hätte, einen Blick auf dich zu werfen.«
»Manchmal, Winky, wandelst du auf dem schmalen Grat zwischen einem wahren Romantiker und einem Lügenkönig.«
»Was ich sage, kommt von Herzen.«
»Also, mein Lieber, falls du vorhast, heute Abend so weiterzumachen, dann bring eine Schaufel mit. Ich habe nämlich keine.«
Sie legte auf, und bevor Ryan das Telefon vom Ohr nehmen konnte, hörte er ein Geräusch, das klang wie ein kurzes unterdrücktes Lachen.
Obwohl Sam die Verbindung unterbrochen hatte, war kein Freizeichen zu hören. Ryan lauschte dem schwachen hohlen Zischen einer offenen Leitung.
»Wer ist da?«, fragte er.
Niemand antwortete.
Das Haustelefon war ein digitales Hybridsystem mit zehn Anschlüssen und zusätzlichen Funktionen für die Haussprechanlage und die Türklingel. Keiner der Telefonanschlüsse war geteilt und von keinem anderen Telefon im Haus konnte man eine Leitung belauschen, die in Benutzung war.
Er wartete auf einen weiteren verräterischen Laut wie gedämpftes Atmen oder ein Hintergrundgeräusch aus dem Raum, wo der Lauscher saß, aber seine Geduld wurde nicht belohnt. Er hatte nichts weiter als den Eindruck , dass dort draußen im Äther jemand war, eine feindlich gesinnte Erscheinung, die tatsächlich vorhanden sein konnte oder auch nicht …
Schließlich unterbrach er die Verbindung.
Am Freitagnachmittag um vier Uhr, also früher als versprochen, legte Wilson Mott via E-Mail einen Hintergrundbericht über Samanthas Mutter vor.
Sowie Ryan einen Ausdruck davon gemacht hatte, verschob er die E-Mail in den Papierkorb und leerte diesen aus, um sie endgültig zu löschen, damit niemand sie je wieder hervorholen konnte. Er setzte sich auf eine Sonnenliege am Pool, um zu lesen, was Mott in Erfahrung gebracht hatte.
Rebecca Lorraine Reach, 56, lebte in einem Apartmentkomplex namens »Oasis« in Las Vegas. Sie war bei einem der feudaleren Casinos als Croupier an einem der Black-Jack-Tische angestellt.
Mit höchstwahrscheinlich fragwürdigen Mitteln hatte Mott aus den Akten des Nevada Gaming Control Board ein aktuelles Foto von Rebecca beschafft. Sie sah nicht älter aus als vierzig und hatte eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit ihrer Tochter.
Sie besaß einen weißen Ford Explorer. Im Straßenverkehr hatte sie sich nichts Nennenswertes zuschulden kommen lassen.
Sie war in Nevada nie in einen Strafprozess oder einen Zivilprozess verwickelt gewesen. Ihre Kreditauskunft wies auf eine verantwortungsbewusste Inanspruchnahme von Krediten hin.
Nach den Angaben einer Nachbarin, Amy Crocker, pflegte Rebecca kaum gesellschaftlichen Umgang mit anderen Bewohnern der Wohnanlage, legte eine Haltung im Sinne von »Meine Kacke stinkt nicht« an den Tag, sprach nie davon, dass sie eine Tochter hatte, ob tot oder lebendig, und hatte eine feste Beziehung zu einem Mann, der Spencer Barghest hieß.
Mott berichtete, Barghest sei in Texas zweimal des Mordes angeklagt und beide Male für unschuldig befunden worden. Als bekannter Aktivist, der sich für das Recht zu sterben einsetzte, war seine Anwesenheit bei Dutzenden von Selbstmorden mittels Sterbehilfe belegt. Es gab Grund zu der Annahme, dass einige der Menschen, denen er Beihilfe geleistet hatte, nicht unheilbar - oder auch nur chronisch - erkrankt gewesen waren und dass die Unterschriften auf
ihren Bitten um eine Beendigung ihres Leidens gefälscht waren.
Ryan hatte keine Ahnung, wie ein Selbstmord mittels Sterbehilfe konkret ablief. Vielleicht stellte Barghest eine Überdosis Beruhigungsmittel bereit, was schmerzlos, aber dennoch tödlich wäre.
Motts Bericht enthielt auch ein Foto von Spencer Barghest. Er hatte das ideale Gesicht für einen Komiker: sympathische und doch irgendwie gummiartige Züge, ein durchtriebenes, aber gleichzeitig gewinnendes Lächeln und einen weißen Haarschopf mit einem punkigen Borstenschnitt, der an einem Kerl in den Fünfzigern lustig aussah.
Da er ernsthaft krank sein mochte, bereitete es Ryan ein gewisses Unbehagen, dass er um nicht mehr als drei Ecken quasi mit einem Mann verwandt war, der ihn mit Vergnügen in die ewigen Jagdgründe
Weitere Kostenlose Bücher