Rachekind: Thriller (German Edition)
Marten, und Hanna war erleichtert, dass er das Reden übernahm. »Kein Grund zur Besorgnis. Nichts Ansteckendes.«
»Mein Sohn hat vorhin im Krankenhaus angerufen. Falls Sie Unterstützung brauchen. Aber sie wollten ihm keine Auskunft geben.« Der Alte taxierte Marten. »Darf ich Ihnen einen Schnaps auf den Schreck ausgeben?«
Er schwenkte zu Hanna. »Ihnen natürlich auch.«
Noch bevor sie ablehnen konnten, bewegte er seinen Rollstuhl zur Bar und öffnete einen Schuber.
»Ich denke, ein achtzehn Jahre alter Whisky wäre jetzt angemessen.«
Flaschen klirrten, und der Schuber wurde schwungvoll wieder geschlossen. Mit einer Flasche und drei Gläsern in seinem Schoß rollte er zu einer der Sitzgelegenheiten. »Nehmen Sie Platz.«
Mit einem Seitenblick auf Hanna ließ Marten sich nieder. Der Alte stellte die Gläser auf dem Tisch ab und schenkte sie großzügig voll.
Er nahm seines, sah erst Marten und dann Hanna auffordernd an und hielt es in die Höhe.
»Auf die Gesundheit.«
»Auf die Gesundheit«, wiederholte Marten und erhob sein Glas. Er trank einen kräftigen Schluck und stellte es ab.
»Sie nicht?«, fragte der Alte an Hanna gerichtet.
»Danke, ich habe keine Hand frei.«
»Soll ich Ihnen die Kleine abnehmen?« Der Alte fuhr zu Hanna und streckte seine Arme nach Lilou aus.
Hanna spürte, wie Lilous Körper sich verkrampfte, und hörte, wie ihre Atemzüge schneller wurden.
»Ich glaube, ich sollte sie so schnell wie möglich zu Bett bringen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Gute Nacht.«
Eilig ging sie zum Aufzug, hielt aber nach wenigen Metern inne. Vor ihrem inneren Auge erschien die Hotelfassade mit den zwei beleuchteten Fenstern. Sie kehrte um, zwang sich, nicht zu laufen, ihre Stimme normal klingen zu lassen.
»Marten, ich bräuchte Lilous Schlafsack aus deinem Zimmer. Würdest du ihn für mich holen?«
Marten wechselte mit dem Alten wenige Worte und eilte dann zu ihr.
Nachdem die Lifttür sich hinter ihnen geschlossen hatte, legte er seinen Finger an den Mund. Dann beugte er sich zu ihrem Ohr und flüsterte.
»Was ist? Ich habe keinen Schlafsack.«
»In deinem Zimmer brennt Licht«, hauchte sie zurück. »Hast du es angelassen?«
»Nein.« Martens Züge verfinsterten sich. »Aber dann weiß ich jetzt, warum der Alte seinen Whisky mit uns teilt.«
»Es fehlt nichts.« Marten kam auf Zehenspitzen durchs Zimmer und setzte sich neben Hanna aufs Sofa.
»Aber ich habe Licht gesehen.« Hannas Stimme vibrierte. Das alles war zu viel für einen einzigen Tag. Lilous Erbrechen, die Vision an der Hütte, die Erkenntnis, dass Britt ihre Schwester war, die Verfolgungsjagd mit Linus und seine hanebüchene Lüge, die Angst um Lilou, immer wieder die Angst um Lilou …
»Ich glaube dir.« Trotz der gedimmten Beleuchtung erkannte sie an Martens Körperhaltung, dass er im Gegensatz zu sonst unter Anspannung stand. »Wenn der Alte versucht hat, uns deswegen aufzuhalten, hat er den Komplizen, der in meinem Zimmer war, gewarnt.«
Die Mala glitt in schnellen Runden durch seine Finger. »Das ist nicht gut. Wir sollten das Hotel verlassen.«
»Und was wird aus Lilou? Wie sollen wir ihr helfen, wenn wir jetzt abbrechen?« Sie presste ein mit Lilien besticktes Kissen an sich. »Wie sollen wir herausfinden, was das Blut bedeutet?«
»Wir kommen morgen zurück.« Die Gebetskette stoppte abrupt in seiner Hand. »Ein guter Stratege weiß, wann er sich zurückziehen muss.«
»Lilou wollte zu dieser Hütte«, sagte Hanna. »Da könnten wir als Erstes hin.«
Marten nahm die Mala in seine Faust und quetschte sie zusammen. »Ich habe bei der Hütte kein gutes Gefühl. Mit Lilou können wir da auf keinen Fall rein.«
»Sie wollte dahin. Meinst du nicht, dass sie weiß, was sie tut, wenn sie wirklich von … von Tom gesteuert wird?«
»Vielleicht. Aber selbst, wenn es so sein sollte, wissen wir nicht, was Tom vorhat. Nur mal hypothetisch. Wenn er tot ist und Lilou benutzt, um seinen Mörder zu finden, dann bist du in Gefahr.«
Hanna zupfte an der Stickerei des Kissens. Martens Worte ängstigten sie.
Marten ließ die Perlen der Mala wieder durch seine Finger gleiten. »Wenn jemand in die Hütte geht, dann bin ich das. Allein.«
Hanna legte das Kissen zur Seite und stand auf. »Ich glaube, Lilou hat nach mir gerufen.«
Am Bett beugte sich Hanna zu Lilou hinunter. Ihr Atmen war schnell und flach. »Mama«, flüsterte sie kläglich und streckte die Arme nach ihr aus.
Weitere Kostenlose Bücher