Rachekind: Thriller (German Edition)
»Mama!«
Hanna nahm sie hoch. Sie war völlig durchgeschwitzt. Hanna fühlte ihre Stirn. Dann wandte sie sich an Marten. »Ich glaube, sie hat Fieber.«
Marten war mit drei Schritten bei ihnen. Er legte die Rückseite seines Zeigefingers auf Lilous Stirn. »In meinem Koffer ist ein Thermometer. Ich hole es«, sagte er dann, und Hanna erkannte an der Eile, mit der er den Raum verließ, dass er höchst alarmiert war.
Die Minuten zogen sich endlos. Hanna zählte die Rosenblüten an der Tapete. Sie konnte nur die Umrisse erkennen, weil das Licht für die feingliedrigen Details der Blüten zu schwach war. In ihren Armen wiegte sie Lilou. Der Schlafanzug war durchgeschwitzt. Hanna ging mit ihr zum Koffer und holte Wechselkleidung hervor. Als sie Lilou ablegte und umzog, begann das Kind zu jammern. Es war ein hohes, qualvolles Jammern, als habe sie große Schmerzen, und doch so leise, als wäre nicht mehr genug Kraft für laute Töne in ihr. Hanna streifte ihr so behutsam wie möglich den Schlafanzug über und steckte die kleinen Füße in dicke Socken. Sie überlegte, ob sie ihr eine Strickjacke anziehen sollte, und entschied sich dagegen. Bei Fieber nicht zu warm einpacken, hatte der Kinderarzt sie gewarnt.
Endlich lag Lilou wieder trocken in ihren Armen. Sie atmete noch immer zu flach und zu schnell, als ob sie das Luftholen anstrengte. Hanna ging mit ihr im Zimmer auf und ab. Mit jeder Minute wuchs ihre Unruhe. Wo blieb Marten? Sie sah auf die Uhr. Halb eins. Er war seit fast fünfzehn Minuten weg. Auch ohne Thermometer erkannte sie, dass Lilous Fieber stetig stieg. Das Blut, der Schwall, der aus ihr herausgebrochen war, drängte sich in ihre Gedanken. Sie zitterte. Verdammt, Marten, wo steckst du? Sie mussten zurück ins Krankenhaus! Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie rief ihn am Handy an, fluchte, als es auf dem Couchtisch läutete. Behutsam wickelte sie Lilou in eine Babydecke und verließ mit ihr das Zimmer. Hastig lief sie die Treppe hoch und huschte über den dicken Teppich zu seiner Tür.
»Marten?« Hanna klopfte leise. »Marten? Bist du da?«
Keine Antwort.
Sie klopfte wieder. Etwas lauter diesmal. »Marten?« Das Drängen in ihrer Stimme wurde stärker. Versuchte er ein Thermometer zu organisieren, weil er doch keines dabeihatte? Unsinn, dann hätte er mir Bescheid gesagt. Sie verlagerte Lilou, um eine Hand frei zu haben, und löste den Dietrich aus dem Schlüssel. In Sekunden hatte sie das altertümliche Schloss geknackt und betrat das Zimmer.
»Marten?« Sie machte Licht. Sein Koffer lag geöffnet auf dem Bett. Sie näherte sich. Warf einen Blick hinein. Pullover und eine Jeans lagen ordentlich gefaltet nebeneinander. Ohne Lilou abzulegen, durchsuchte sie den Koffer. Kein Thermometer. Sie ging weiter ins Bad. Der Kulturbeutel stand aufgeklappt neben dem Waschbecken, das Fieberthermometer war ordentlich zwischen Feile und Nagelschere eingereiht. Sie hörte ein Knacken hinter sich und fuhr herum. Hastig trat sie ins Zimmer zurück.
»Marten?«
Niemand antwortete. Langsam wurde ihr sein Fernbleiben unheimlich. Schnell holte sie das Thermometer aus dem Badezimmer, legte Lilou auf Martens Bett und maß ihre Temperatur. 39,9. Sie steckte das Fieberthermometer in ihre Jackentasche, hob Lilou vom Bett und machte sich auf den Rückweg. Lilou brauchte dringend ein Fieberzäpfchen.
Wieder im zweiten Stock vernahm Hanna gedämpfte Stimmen. Angespannt lauschte sie dem Gemurmel. Es kam aus der Richtung ihres Zimmers. Marten? Aber mit wem sprach er?
Lautlos schlich sie über den Teppich. Ein paar Meter vor ihrem Zimmer sah sie, dass die Tür angelehnt war. Ein schwacher Lichtstrahl drang durch den Spalt und zeichnete einen hellen Fleck auf den Teppich. Sie blieb stehen. Sie war sich sicher, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Wieder hörte sie Stimmen. Zu leise, um zu verstehen, was sie sprachen. Hat Marten einen Arzt aufgetrieben? Wie hat er das Schloss geöffnet? Sie näherte sich der Tür. Stoppte abrupt. Jetzt erkannte sie eine der Stimmen. Linus! Hanna blieb wie angewurzelt stehen. Sie presste Lilou an sich, spürte die Hitze, die von ihrem kleinen Körper ausging. Angespannt drückte Hanna sich an der Wand entlang. Sie musste näher zur Tür, um verstehen zu können, was gesprochen wurde.
Eine Schublade wurde aufgezogen und wieder geschlossen.
»Hier ist es nicht.« Es war Linus’ Stimme.
»Es muss hier sein. Such weiter.«
Ein knirschendes Geräusch ertönte. Hanna erkannte
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