Rachekind: Thriller (German Edition)
»Na, genug gespielt? Du hast sicher Hunger.«
Auf dem Weg zur Küche setzte sie Lilou ab und räumte ihre Lieblingsschublade wieder ein. Dann schnappte sie sich Steves Stiefel und stellte ihn neben den zweiten. Etwas glitzerte.
Sie hob den Stiefel wieder hoch und betrachtete das Innenfutter aus der Nähe. Lilou hatte ein Loch hineingepult. Ein winziges Loch, aus dem deutlich die Spitze eines kleinen Schlüssels hervorstand.Was hatte ein Schlüssel in Steves Stiefel zu suchen? Sie trug den Schuh in die Küche und trennte mit einer Schere das Futter weiter auf. Der Schlüssel war nur so groß wie ein Daumennagel. Mit spitzen Fingern hielt sie ihn ins Licht.
Ein Sicherheitsschlüssel.
Für einen Minisafe, möglicherweise in Form einer Schatulle. Eine Spezialanfertigung. Schwer zu knacken, selbst für sie. Hanna fixierte den Schlüssel. Dann Lilou.
Zufall?
Erst half sie ihr, durch den Schal auf das Passwort zu kommen, jetzt fand sie einen versteckten Schlüssel. Als hätte Lilou einen sechsten Sinn. Das glaubst du doch selbst nicht! Denk logisch. Sie vermisst Steve und spielt deshalb mit seinen Dingen. Sie nimmt immer alles auseinander, was sie in die Finger bekommt. Das ist normal. Kinder sind neugierig. Das weißt du selbst am besten. Hanna sog ihre Unterlippe ein und kaute angespannt darauf herum, als ein Schnalzen ihre Gedanken unterbrach. Sie fuhr herum. So schnalzte Steve mit der Zunge, wenn er besonders zufrieden war. Sie drehte den Kopf zu Lilou zurück und sah, wie sie den Mund öffnete. Der erneute Schnalzton jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken.
Obwohl Hanna die längere Strecke über die Fußgängerzone gewählt hatte, um die dunkle Straße vor dem Parkhaus zu vermeiden, erreichte sie das Ladengeschäft in weniger als zehn Minuten. In Gedanken ging sie alle Orte durch, wo Steve die Schatulle zu dem Schlüssel versteckt haben konnte. Hier musste sie ihre Suche koordinierter angehen. In der Wohnung hatte sie ein Spiel aus der Suche gemacht, mit Lilou Schränke durchstöbert und Schubladen geleert, und Lilou hatte ihr mit großer Ernsthaftigkeit geholfen, ohne dass sie wissen konnte, was ihre Mutter überhaupt suchte. Mit Grauen dachte Hanna an das Chaos, das sie in der Wohnung hinterlassen hatte und das sie dort bei ihrer Rückkehr erwarten würde.
Hanna entsicherte die Alarmanlage, sperrte die Ladentür hinter sich wieder zu und ging durch den kleinen Verkaufsraum gleich ins angrenzende Büro hinüber. Sie stellte den Kinderwagen ab und entfernte vorsichtig die zweite Decke. Dann ging sie in den Verkaufsraum zurück. Die obere Wandhälfte hinter dem Tresen war fast komplett mit Rohlingen bestückt, die an Haken hingen. Dort konnte er nichts versteckt haben. Darunter waren hüfthohe Schränke mit Schiebetüren und Schubladen angebracht, auf denen die Schleifmaschine stand. Jede Menge Platz, um etwas zu verstecken. Ebenso in den Schränken unter dem Tresen. Ansonsten gab es keinen Ort, der sich als Versteck geeignet hätte. Der Rest des Verkaufsraumes war mit Ständern für Handelswaren, einer Sitzgruppe und vier Glasvitrinen ausgestaltet, in denen die neuesten Schließanlagen und Alarmsysteme zur Schau gestellt waren. Hanna ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
Plötzlich zuckte sie zurück. Am Schaufenster stand ein Mann und blickte in den Laden hinein. Sie konnte nur die Umrisse erkennen. Ihr Herz schlug bis in den Hals hinauf. Rob! Fieberhaft überlegte sie, was sie tun sollte. Simon anrufen? Die Polizei? Der Mann klopfte an die Scheibe. Hanna verharrte reglos auf der Stelle. Der Mann klopfte erneut. Winkte sie heran. Reiß dich zusammen! Wenn es Rob wäre, würde er kaum an die Scheibe klopfen. Geh hin, und sieh nach, wer dort ist. Zögerlich näherte sie sich dem Schaufenster. Dann erkannte sie den Taxifahrer, der sie letzten Freitag nach Hause gefahren hatte. Er bedeutete ihr, die Tür aufzuschließen. Sie öffnete.
»Frau Warrington!« Er reichte ihr die Hand und schüttelte sie kräftig. »Ich hab Licht gesehen und mir gedacht, ich schau lieber mal, ob alles in Ordnung ist. Ist ja schon fast neun.«
»Viel zu tun«, sagte Hanna und zog ihre Hand zurück.
»Ich will Sie gar nicht aufhalten, aber als Sie letztens weg sind, dachte ich mir noch, Mensch, jetzt hast du ihr deine Karte gar nicht gegeben.« Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und hielt sie ihr hin. »Wenn Sie mal ein Taxi brauchen. Ich fahre jeden Abend außer montags. Mein Standplatz ist in der Nähe vom
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