Rachekind: Thriller (German Edition)
dann wette ich, dass er das Geld heimlich aus der Firma gezogen hat.«
»Du willst die Bücher durchgehen? Alle?«
»Alle.« Sie nahm die ersten drei Ordner heraus und stellte sie auf ihrem Schreibtisch ab.
Simon stieß einen Pfiff aus, der so leise war, dass er auch ein Seufzer hätte sein können. Hanna ließ sich nicht beirren.
»Ich bin mir sicher, dass hier irgendwas faul ist. Und ich werde herausfinden, was«, sagte sie nachdrücklich.
15
Müde legte Hanna den Kopf auf die Schreibtischplatte. Sie hätte doch gleich mit Lilou zusammen ins Bett gehen sollen. Dabei war es gerade mal halb neun, der ganze Abend lag noch vor ihr. Das grelle Licht der Schreibtischlampe blendete sie und verstärkte ihre Kopfschmerzen. Sie dimmte die Lampe auf ein angenehmes Licht herunter, doch es half nichts. Der stechende Kopfschmerz blieb. Egal wie sie es drehte und wendete: Es gab nur eine Erklärung, warum Steve ihr erzählt hatte, dass er das Geschäft mithilfe eines Existenzgründerdarlehens gekauft hatte, obwohl es bar bezahlt worden war.
Bar!
Er wollte Fragen nach der Herkunft des Geldes verhindern. Das wiederum konnte nur eines bedeuten: Das Geld war nicht legal verdient worden. Steve hatte Dreck am Stecken. Wahrscheinlich hatten ihre Eltern doch recht gehabt: Steve war hinter ihrem Geld her gewesen. Von Anfang an. Sie stöhnte laut auf. Dieses verfluchte Erbe. Alles in ihr sträubte sich dagegen, diese Möglichkeit näher zu betrachten. Steve und Lilou hatten ihr Leben verändert. Sie verändert. Sie war weicher geworden. Offener. Fröhlicher. Als ob Steves Unbekümmertheit und Lilous Lebendigkeit auf sie abgefärbt hätten. Konnte ein Mensch sich so verstellen? Sie dachte an seine Reaktion, als er erfahren hatte, dass er Vater werden würde.
Ich bin schwanger.
Es ist heraus.
Obwohl ich den ganzen Tag schier wahnsinnig geworden bin, fühle ich mich jetzt auf einmal ganz ruhig. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Wir haben verhütet. Unsere Beziehung ist noch nicht bereit für ein Baby. Es wird sie kaputt machen. Den Zauber unserer Zweisamkeit zerstören. Und doch will ich dieses Baby. Mehr als jemals zuvor etwas in meinem Leben. Der Wunsch, es auf die Welt zu bringen und großzuziehen, brennt in mir wie ein Feuer, das von dem kleinen Teststäbchen wie durch einen aggressiven Brandbeschleuniger entfacht wurde. Er sagt nichts. Lange nichts. Dann zieht er mich an sich. Legt seine Lippen an mein Ohr. Flüstert.
Das ist das größte Geschenk meines Lebens.
Ich zerfließe in seinen Armen. Erleichtert. Glücklich. Und gleichzeitig voller Angst vor der Verantwortung, die dieser Schritt bedeutet.
Ich werde unserem Kind ein guter Vater sein. Der beste. Das schwöre ich dir.
Er ist Lilou ein guter Vater gewesen. Der beste. Er hat sie vergöttert. Sie geherzt. Ihr Bücher vorgelesen, Reime aufgezählt. Sie abends in den Schlaf gesungen und ihr morgens die Flasche gegeben. Bis zu dem Tag, an dem er verschwand. An dem er das aufgab, was ihm das Wichtigste in seinem Leben war. Sie hob den Kopf von der Tischplatte und berührte dabei die Maus. Der Bildschirm erwachte, und Steves Facebook-Seite erschien. Erstaunt stellte sie fest, dass ihr Suchaufruf bereits über einhundertmal geteilt worden war. Sie postete ein Dankeschön an ihre Pinnwand und wollte die Seite gerade verlassen, als das Chatfenster blinkte.
Sie klickte darauf. Eine Nachricht auf Englisch erschien. Hannas Pulsschlag erhöhte sich. England. Schon wieder England.
Linus: Ich höre, du suchst Steve.
Hanna: Ja, weißt du, wo er ist?
Linus: Ich weiß, dass es nichts bringt, wenn du ihn suchst.
Hanna: Warum? Was weißt du über Steve?
Linus: Ich weiß, dass du ihn nicht finden wirst, wenn er nicht gefunden werden will.
Hanna: Und wenn er nicht freiwillig verschwunden ist? Wenn er festgehalten wird?
Linus: Wie kommst du darauf?
Hannas Finger trommelten unschlüssig auf die Tischplatte. Wie viel Informationen durfte sie herausgeben? Sie starrte auf die Tastatur. Was hieß noch mal Vermutung auf Englisch?
Hanna: Nur eine Vermutung.
Linus: Hör auf zu vermuten. Du verschwendest deine Zeit.
Hanna schnaubte. Was war das nur für ein Typ? Konnte er nicht klipp und klar sagen, was er wusste?
Hanna: Wenn du mir nicht sagen kannst, warum ich meine Zeit verschwende, ist das auch nur eine Vermutung.
Linus: Nein. Erfahrung. Ich habe ihn zehn Jahre lang gesucht, aber gefunden hat er mich.
Hanna: Warum hast du ihn gesucht? Wer bist du? Kannst du mir mehr
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