Rachekind: Thriller (German Edition)
erzählen?
Das Onlinezeichen von Linus erlosch. Frustriert klickte Hanna auf den Namen und landete auf seiner Profilseite. Sie war nichtssagend, anstelle des Profilfotos prangte ein Avatar von Bart Simpson, und dass er aus England kam, war die einzige Angabe zu seiner Person. Keine Einträge, keine Aktivitäten.
Das Klingeln des Telefons zerschoss die Stille.
»Hallo?«
»Frau Warrington?«
Hanna versuchte die Stimme einer Person zuzuordnen. Sie klang männlich und weich zugleich. »Ja?«
»Hier Marten Stein.«
Marten Stein, der Privatdetektiv. Sie gab seinen Namen bei Facebook ein, sofort baute sich sein Profil auf. Die Stimme passte zu dem Foto. »Ich rufe wegen Ihres Facebook-Eintrags an. Sie suchen nach Weggefährten von Steve zwischen 1995 und 2008. Wenn Sie Orte eingeben, an denen er sich zu diesen Zeitpunkten aufgehalten hat, dann erhöhen Sie Ihre Chance auf sinnvolle Zuschriften erheblich.«
»Wo haben Sie meine Nummer her?«
Sie hörte ihn lachen. »Das ist für einen Privatdetektiv nun wahrlich keine große Kunst. Ich will Sie gar nicht länger stören. Es ist mir nur aufgefallen, und da dachte ich, ich sage Ihnen schnell Bescheid, schließlich geht es um einen Menschen. Und soweit ich aus Ihren Einträgen schließen kann, befürchten Sie, dass Ihr Mann in Bedrängnis sein könnte.«
Ich weiß nicht mehr, was ich befürchte. Ich weiß nur, dass er vor vier Jahren fünfundachtzigtausend Euro bar auf den Tisch gelegt hat. Ich weiß, dass er mich angelogen hat. Sie zahlten keinen Kredit ab, sie überwiesen dem Vorbesitzer eine Leibrente. Und die war wesentlich geringer als die angebliche Kreditrate. Ich weiß, dass er jeden Monat neunhundert Euro an mir vorbeischmuggelt.
Mit einem Schlag wischte sie einen Stapel Briefe von der Schreibtischpatte.
»Sind Sie okay?«, fragte Stein.
Hanna fixierte wieder sein Profilfoto.
Nein, ich bin nicht okay , wollte sie in den Hörer brüllen, doch sie hielt sich zurück. Stein konnte nichts dafür, dass ihr Leben auseinanderbrach, dass Steve sie belogen und Lilou in Gefahr gebracht hatte, dass die Polizei ihr nicht glaubte.
Der Detektiv räusperte sich. »Ich will mich nicht aufdrängen, aber falls Sie Hilfe brauchen, bin ich gerne für Sie da. Bei Vermisstenfällen ist es wichtig, gleich am Anfang dranzubleiben. Solange die Spur noch heiß ist, wenn Sie verstehen. Ich kann Ihnen selbstverständlich Referenzen zukommen lassen.«
Hanna schwieg. In was auch immer Steve hineingeraten war, es war nicht mehr nur sein Problem. Spätestens seit dem Entführungsversuch war es auch ihr Problem. Und sie hatte keine Ahnung, wer ihr gegenüberstand. Wie gefährlich ihr Gegner war. Wie weit er gehen würde. Was sie als Nächstes machen sollte. Sie musste Steve finden. Nicht nur um seinetwillen, sondern auch wegen Lilous und ihrer eigenen Sicherheit. Sie musste den Weg bis zum Ende gehen, obwohl sie sich so müde und schlapp fühlte, dass sie am liebsten alles hinter sich lassen würde.
Sie realisierte, dass Stein noch immer in der Leitung war. Er hatte ihr Schweigen minutenlang nicht unterbrochen.
»Ich denke darüber nach«, sagte sie leise und legte auf.
Hanna schluckte zwei Kopfschmerztabletten und trank ein großes Glas Wasser. Mit etwas Glück würden ihr die Tabletten beim Durchschlafen helfen. Sie ging zur Küche, um das Glas noch einmal aufzufüllen. Stein hatte recht. Sie brauchte Hilfe. Bevor sie zusammenbrach. Gestern hatte sie überhaupt nicht geschlafen. So konnte das nicht weitergehen. Ihre Zerstreutheit. Ihre Albträume. Ihr Unbehagen, wenn sie danach nachts durch die Wohnung lief. Immer dieses Gefühl, jemand würde sie beobachten. Vielleicht sollte sie tatsächlich Steins Referenzen prüfen lassen. Er war Spezialist auf dem Gebiet. Zumindest ließen seine Webseite und die vielen Kommentare auf seiner Facebook-Seite das vermuten. Er hatte andere Möglichkeiten als sie. Sie holte sich das Telefonat ins Gedächtnis zurück. Seine Stimme klang sympathisch. Aber was hieß das schon?
Sie verließ die Küche und blieb vor der Kommode stehen. Wieder stellte sich ein unheimliches Gefühl bei ihr ein. Unerklärlich. Und doch konnte sie sich nicht davon befreien. Unwillkürlich musste sie an Steves Schal denken.
Sie zögerte. Eine innere Stimme befahl ihr nachzusehen, ob er an seinem Platz lag. Sie musste sich nur nach unten beugen und die Schublade aufziehen. Doch sie tat es nicht. Reglos stand sie einen Moment vor der Kommode.
Dann zog sie die Schublade mit
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