Rachekind: Thriller (German Edition)
Cottage angegrinst. »Wenn ich Steve sehe, dann könnte Lilou ihn vielleicht doch auch sehen.«
»Findest du nicht, das klingt etwas … spooky?« Britt hatte ihre Stimme gesenkt.
»Mehr als das! Total gaga, total verrückt!« Hanna seufzte. »Aber irgendwas muss ich ja als Erklärung finden. Ich denke, ich habe diese Halluzinationen immer dann, wenn ich extrem unter Stress stehe. Vielleicht geht es Lilou auch so. Vielleicht übertrage ich meinen Stress auf mein Püppchen, und sie reagiert, indem sie in diese Fantasiewelt zu dem ominösen Freund flüchtet.«
»Hmm. Wäre es denn falsch, wenn sie in diese Welt flüchtet?«
»Natürlich!«, rief Hanna aus. »Sie muss das doch in dieser Welt verarbeiten!«
»Oh nein!« Britt stieß einen leisen Fluch aus. »Jetzt habe ich viel zu viel abgeschnitten! Oh Hanna, das tut mir so leid, das ist mir noch nie passiert!«
Hanna drehte den Kopf und schluckte. Während auf der rechten Seite die blonden Locken wie gewohnt über die Schulter fielen, endeten sie links auf Kinnhöhe. Dann lächelte sie tapfer. »Ist wohl doch an der Zeit, einen neuen Stil auszuprobieren.«
38
Der Verkehr auf der Jülicher Straße war dichter als sonst zu dieser Tageszeit. Es war halb drei vorbei, und Hanna stand schon die dritte Rotphase an derselben Ampel. Mit einem schnellen Griff zum Spiegel nutzte sie die Gelegenheit, um ihre neue Frisur noch einmal zu betrachten. Der asymmetrische Bob stand ihr wirklich gut. Britt hatte eine bislang unentdeckte Seite an ihr zum Vorschein gebracht. Einen neuen Typ hervorgezaubert, der ihr mit jedem Blick in den Spiegel besser gefiel. Sie wirkte weiblicher und trotzdem selbstbewusst, einfach nur durch einen Haarschnitt und etwas Make-up. Britt war wirklich eine Meisterin ihres Fachs. Selbst wenn sie sich absichtlich verschnitten hätte, um sie zu ihrem Glück zu zwingen, wie ihr Kollege augenzwinkernd behauptet hatte, nahm Hanna ihr den unfreiwilligen Stilwechsel nicht übel. Das Ergebnis war perfekt.
Ob Britt wohl je wieder ihre Wohnung betreten würde? Wie ihre Hände gezittert hatten, als sie ihr angeboten hatte, auf ein Glas Wein zu kommen. Hanna schüttelte sich. Der Spinnenaufmarsch war wirklich widerlich gewesen. Wieder beschlich Hanna das unangenehme Gefühl, das sie ergriffen hatte, als die Spinnen aus dem Stofftier hinaus hinter das Regal geflüchtet waren, ein Strom an braunen Gliedmaßen, die sich in einer Schlange auf das Regal zubewegt hatten. Es war so unwirklich gewesen, fast so unwirklich wie ihr altbekannter Albtraum mit den hysterischen Kindern, die vor den Spinnen flohen.
Ein röchelndes Geräusch aus dem Fond riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte den Kopf. Lilou versuchte Britts Talisman über den Kopf zu ziehen. Das Lederband war verdreht und würgte ihr mit jedem Ruck weiter die Luft ab.
»Lilou! Nicht!« Sie griff nach hinten, entwand Lilou den Beutel und lockerte das Band um ihren Hals. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Konvoi sich wieder in Gang setzte. Hinter ihr hupte ein Auto. Ohne den Beutel loszulassen, riskierte sie einen Blick nach vorne und begegnete Steves blutunterlaufenen Augen im Rückspiegel. Sie schnappte nach Luft und starrte entsetzt auf Steves Spiegelbild.
Sein Blick war anklagend, das Gesicht schmutzig und blutverkrustet. Er saß neben Lilou und strich mit einer verdreckten, wächsernen Hand über ihr blondes Haar. Wie von Sinnen ließ Hanna den Beutel los, wandte sich um und schlug nach Steve. Aber sie traf ins Leere, und so plötzlich, wie er erschienen war, war er verschwunden.
Unbekümmert bahnte Lilou sich einen Weg durch die vielen Beine um sie herum, während Hanna sich kaum traute, die Augen von dem vom Regen feucht glänzenden Kopfsteinpflaster zu nehmen. Zu sehr befürchtete sie, Steve in einem der Schaufenster der Fußgängerzone zu sehen, schon der Gedanke an sein verunstaltetes Gesicht verursachte ihr Übelkeit.
Was war nur los mit ihr? Was löste diese Halluzinationen aus? Oder war es eine Wahnvorstellung? Warum kamen sie ausgerechnet jetzt wieder? Weil der Arztbesuch sie gestresst hatte? Oder wurde sie langsam verrückt? Bei Oma Wilmi hatten anfangs auch große Abstände zwischen den Anfällen gelegen. Erst waren es mehrere Monate gewesen, dann waren die Abstände kürzer und kürzer geworden, bis ihr verstorbener Mann zu ihrem ständigen Begleiter wurde.
Für einen Moment verschwand Lilou hinter dem Mantel einer älteren Frau. Hanna spürte, wie Panik sie ergriff und überholte die
Weitere Kostenlose Bücher