Rachekind: Thriller (German Edition)
zurzeit spricht. Dicht gefolgt von Om nocheina , wenn ich Om auch was auf den Teller legen soll, und Mama weg , wenn sie mich wegschickt.«
»Sie schickt dich weg?« Britt quetschte den Wal, bis die kaputte Naht sich zu einem Oval öffnete. »Das ist aber ungewöhnlich, seit wann schicken so kleine Mupfel ihre Mama denn weg?«
Hanna stöhnte. Wieder jemand, der Lilous Verhalten ungewöhnlich nannte. »Das macht sie nur, wenn ich sie beim Spielen störe.«
»Ich dachte, dass kleine Kinder in der Nähe der Mutter spielen wollen.« Britt schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ist sie denn schon immer so?«
»Nein, aber was heißt das schon?« Hanna hob die Arme und drehte die Handflächen nach oben. »Die verändern sich in dem Alter am laufenden Band, woher soll ich wissen, wann was normal ist und wann nicht?«
»Also, das ist nicht normal.« Britt schüttelte vehement den Kopf. »Und das weißt du auch. Nicht bei einer Eineinhalbjährigen. Die schickt dich vielleicht mal weg, damit sie in Ruhe den Mülleimer ausräumen kann oder sonst was, was du ihr nicht erlaubst, aber warum soll sie dich nicht dabeihaben wollen, wenn sie spielt?«
»Ich denke, das hat was mit ihrem Om zu tun. Vielleicht ist das ihre Art, mit dem Verlust von Steve umzugehen. Und ich war die letzten Monate auch nicht richtig für sie da. Aber irgendwie wird das immer übermächtiger, als ob diese Fantasiefigur sie in ein Parallelleben entführt, in dem nicht einmal ich Platz habe.«
Hanna presste die Finger an ihre Schläfen, um die Bilder auszusperren, doch sie waren stärker und so real, als würde sie die Szene wieder erleben.
Püppchen? Wo bist du?
Das Kichern kommt aus der Ecke neben der Wickelkommode. Es hat nichts Kindliches. Es klingt gemein. Hämisch.
Lilou hockt vor dem zwanzig Zentimeter breiten Spalt zwischen Wickelkommode und Wand, mit einer Hand umklammert sie den Schwanz des Wals, die andere Hand ist zur Faust geschlossen.
Sie dreht den Kopf zu mir, langsam, als koste es sie Überwindung. Mein Lächeln gefriert. Ihre blauen Augen durchbohren mich wie ein Eiszapfen. Du störst, sagen sie.
Hilfst du mir beim Kochen?
Sie wendet den Kopf ab, so langsam, als hätte jemand auf Zeitlupe gestellt.
Mama weg.
Sie sieht mich nicht einmal an, als sie mich wegschickt. Ich fühle mich wie ein Eindringling. Denke an Steve. Sie wird ihm immer ähnlicher. Es sind Kleinigkeiten. Gesten. Blicke. Wie sie die Gabel hält. Wie sie läuft. Das Schnalzen.
Sie beginnt zu brabbeln, ignoriert mich. Ich stehe neben ihr, möchte sie schütteln, sie anschreien, sie dazu bringen, sie selbst zu sein, wieder meine süße, fröhliche Tochter zu werden.
Schließlich mache ich auf dem Absatz kehrt und gehe zur Küche zurück. Im Flur höre ich ihr Kichern und spüre die Gänsehaut, die über meinen Rücken läuft.
»Hanna? Hörst du mir zu? Du bist echt nicht ganz da heute.«
»Entschuldige. Was hast du gesagt?«
»Und du meinst, das ist so schlimm?«
»In der Krippe haben sie mich auch darauf angesprochen«, fuhr Hanna fort. »Ich werde einen Termin bei einem Kinderpsychologen ausmachen. Bei dem Kinderarzt habe ich gerade erst die Nachsorge machen lassen, der fand alles völlig normal.«
»Hast du Lilou mal auf ihren Om angesprochen?«, fragte Britt. Ihre Hände lagen noch immer um den Wal und drückten ihn in der Mitte so fest zusammen, dass die Augen anstatt nach vorne nach oben schauten.
»Nein. Ich glaube auch nicht, dass ich eine sinnvolle Antwort bekommen würde. Sie kann zwar inzwischen einige Worte sprechen, und wenn ich auf dich zeigen und fragen würde, wer das ist, würde sie sicher itt antworten und bei dem Walfisch, da würde sie iss sagen, aber das ist eben auch real. Wenn ich frage, wer ist denn dein unsichtbarer Freund Om, dann wird sie mir das nicht erklären können.«
Britt schwieg, während sie mechanisch das Plüschtier knetete. Das lange Schweigen beunruhigte Hanna. Sie hatte eine Flut an Ratschlägen und Erfahrungsberichten aus zweiter Hand erwartet. Einen Tipp aus einem ihrer esoterischen Ratgeber, um Lilou von ihrem seltsamen Spielgefährten zu lösen.
Noch immer schwieg Britt. Ihre Finger kneteten weiter den Bauch des Wals. Hanna bemerkte, dass die Füllung aus der offenen Naht hervorschaute, und wunderte sich über Farbe und Beschaffenheit. Sie war sich sicher, der Füllstoff hatte weiß durchgeschimmert, als sie den Wal vorhin ins Wohnzimmer getragen hatte. Jetzt war er braun und bewegte sich. Hanna kniff kurz die Augen
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