Rachekind: Thriller (German Edition)
getrockneten Blumensträußen an den Wänden ins angrenzende Wohnzimmer. Unbehandelte Holzregale bogen sich unter der Last von Hunderten von Büchern. An einer Wand stand ein gestreiftes Sofa, ihm gegenüber ein Sessel mit dem gleichen Bezug auf einem dicken Berberteppich. Etwas weiter weg, direkt vor der Terrassentür, befand sich eine kleine Sitzgruppe aus drei Korbsesseln.
Ariane bat Hanna und Marten, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und setzte sich dann auf den Sessel gegenüber. Hanna nahm Lilou zu sich auf den Schoß.
»Es ist gut, dass ihr gekommen seid.« Arianes Augen wanderten zu Lilou, und sie verbesserte sich. »Es ist höchste Zeit, dass ihr gekommen seid.«
Hanna runzelte die Stirn.
»Marten hat mir von deinem Mann erzählt. Das muss sehr schlimm für dich sein. Und für Lilou auch. Ihr Papa fehlt ihr. Willst du mir erzählen, was dir Sorgen macht?«
»Sie verbringt ihre ganze Zeit mit ihrem unsichtbaren Freund Om«, sagte Hanna. »Und mit Spinnen. Sie kennt sogar ihre lateinischen Namen.«
Ariane legte ihren Kopf schief.
»Sie wacht oft auf«, fuhr Hanna fort. »Ich weiß, dass andere Kinder in dem Alter auch einen unruhigen Schlaf haben, aber ich glaube, sie hat Albträume. Wenn ich sie aus ihrem Bett hole, klammert sie sich an mich und schläft nur weiter, wenn ich sie mit in mein Bett nehme.«
Ariane nickte, als hätte sie diese Antwort erwartet.
»Setz Lilou bitte auf den Teppich. Am besten gehst du mit Marten zu den Korbsesseln dort drüben, damit ich mich auf das Kind konzentrieren kann.«
Ariane zog einen Korb mit Stofftieren heran, kniete sich vor Lilou und hielt ihr einen Fisch hin.
»Gefällt dir der?«
Lilou griff danach, sagte »Om iss«, lief zu der Tasche, die Hanna neben dem Sofa abgestellt hatte, und zog ihren Wal hervor. Mit beiden Stofftieren im Arm kehrte sie zu Ariane und dem Korb zurück und hockte sich davor.
Ariane schloss die Augen und winkelte die Arme an. Ihre nach oben geöffneten Handflächen waren auf der Höhe ihrer Brust. Hanna beobachtete die Szene gespannt. Lilou legte die Stofftiere neben sich auf den Teppich und untersuchte den Inhalt des Korbes, während Ariane völlig still saß. Keiner sprach ein Wort. Selbst Lilou verzichtete auf ihr übliches Gebrabbel.
Ariane begann, sich langsam vor und zurück zu wiegen. Ab und zu stieß sie einen seltsamen Ton aus, der Lilou jedoch in keiner Weise zu irritieren schien. Endlich öffnete Ariane die Augen und begann zu hecheln wie ein Hund.
Hanna zog ihre Augenbrauen zusammen. Arianes Auftritt wirkte auf sie wie eine Schmierenkomödie.
»Das ist nicht gut. Es ist schlimmer, als ich befürchtet habe.«
Ariane winkte Hanna und Marten zu sich.
»Lilous Aura ist völlig überlagert«, sagte sie, und ihre Stimme vibrierte theatralisch. »Das ist wie ein gläserner Sarg um sie herum. Man kann sie zwar sehen, aber man kommt nicht an sie heran. Und ich glaube, dass diese Fremdeinflüsse noch stärker werden. Immer stärker.«
»Sarg?«, wiederholte Hanna zweifelnd.
»Bildlich gesprochen, bildlich!« Ariane presste ihre Fäuste an ihre Brust. »Das sind die Bilder, die zu mir kommen, wenn ich mich auf Lilous Aura einlasse. Ganz starke Bilder! Da hängt ein, nein, zwei fremde Einflüsse hängen an Lilous Aura. Die vergiften sie und halten diesen Glassarg fest verschlossen. Das ist wie … wie zwei Gestalten, die nicht loslassen.«
Gestalten? Gläserner Sarg? Hanna verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hätte nicht hierherkommen sollen. Was faselte diese Frau nur?
»Starke Einflüsse. Ganz furchtbar.« Ariane legte ihre rechte Hand aufs Herz. »Du musst wissen, dass Lilous Aura sich nicht richtig entfalten kann, wenn fremde Einflüsse sie blockieren. Ihr Auftreten, ihr Verhalten, sogar ihre Gesundheit kann leiden. Ihr Zustand müsste eigentlich noch viel schlimmer sein. Was für ein außergewöhnliches Kind. Eine tapfere Seele.«
Hanna presste die Arme fester an ihren Brustkorb. Sie verstand nicht, worauf Ariane hinauswollte. Was für Einflüsse? Der ganze Auftritt wirkte gespielt, als ob Ariane ihr mit diesem Theater Angst machen wollte.
»Und was versteht man unter Fremdeinfluss?«, fragte Hanna bemüht neutral.
»Zum Beispiel, wenn eine andere Seele deine Aura belastet. Oder eine Forderung an dich gestellt wird, die innerhalb der Familie systemisch weitergereicht wird.« Ariane schloss wieder die Augen und streckte die Arme mit geöffneten Handflächen nach vorne zu Lilou. Wieder vergingen mehrere Minuten. Dann
Weitere Kostenlose Bücher